Lerne Mary & Dauda kennen

L-R: Dauda und Mary auf der Insel Lampedusa nach ihrer Rettung auf dem Mittelmeer. Lampedusa, Italien. April 2017. ©Pamela Kerpius

L-R: Dauda und Mary auf der Insel Lampedusa nach ihrer Rettung auf dem Mittelmeer. Lampedusa, Italien. April 2017. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 



Lerne Mary und Dauda kennen.

Sie sind 19, bezw., 20 Jahre alt, und aus Freetown, Sierra Leone.

Um nach Lampedusa zu kommen, durchquerten sie sechs Länder: Sierra Leone, Guinea, Mali, Burkina Faso, Niger, und das gefährlichste von allen, Libyen. 

Die Reise dauerte 5 Monate.

„Wir hatten nicht geplant hierher zu kommen”, sagte Mary über Europa und Italien. Ihr Plan war es Sierra Leone zu verlassen, wo sie wegen ihrer verschiedenen Religionszugehörigkeiten von ihren Familienangehörigen verfolgt wurden: Mary ist eine Christin und Dauda ist Muslim. 

Sie beschrieben Sierra Leone als eine „traditionelle Gesellschaft”, wo sie, als ein verheiratetes Paar, wegen ihrer religiösen Verschiedenheiten nicht toleriert wurden. Deshalb sind sie fortgegangen, zuerst ins Nachbarland Guinea, um dort Arbeit und Sicherheit zu finden. 

Sie blieben einen Monat lang in Guinea. Die Lebensumstände dort machten ihren Aufenthalt leicht. Dauda spricht zum Beispiel flüssiges Französisch und konnte sich so mit den Leuten verständigen. 

Mary hingegen spricht kein Französisch und daher stach sie als Ausländerin heraus, was sie und Dauda zum Angriffsziel von Dieben machte. Sie mussten Guinea verlassen weil sie ständig in Gefahr waren, beraubt zu werden.

In Mali blieben sie zwei Wochen lang und schliefen auf der Straße, wo sie, so erzählen sie, aus ähnlichen Gründen wie in Guinea, nicht sicher waren. Mali ist auch ein französischsprachiges Land, wie auch die nächsten zwei Lander auf ihrem Weg, Burkina Faso und Niger. So war das Paar in jedem dieser Zwischenstopps wieder leicht als Ausländer erkennbar und daher wieder leichte Beute für Diebe und Schlepper.

Wenn man nach Libyen geht und Arbeit findet,
dann hat man Geld. Also sagte ich zu meiner Frau,
,Lass uns nach Libyen gehen.’
 


Sie durchquerten Burkina Faso per Bus und kamen in der nigerischen Hauptstadt Niamey an, wo sie Arbeit suchten. 

„Sie bauen Straßen”, sagte Dauda. Als er die Infrastruktur sah, dachte er, dass dies ein Ort sei, in dem er durch Bauarbeit Geld verdienen könne. Aber als er genauer hinsah, merkte er, dass das Land von einem ständigen Strom von Menschen durchquert wurde.

„Wohin gehen diese Leute?” wollte er wissen, und schließlich fand er die Antwort dazu. 

„Libyen. Sie gingen nach Libyen”, sagte er. Die Gerüchte wurden immer klarer. „Dort gibt es Arbeit”, sagte man ihm, „wenn Du nach Libyen gehst, und dort Arbeit findest, hast Du Geld. Also sagte ich zu meiner Frau, ,lass uns nach Libyen gehen’”. 

Das Paar entschied, dass sie nicht bleiben wollten, da sie für die gleiche Arbeit im Nachbarland einen höheren Verdienst bekommen könnten. Nach nur wenigen Tagen unterwegs könnte das Paar endlich die Chance haben Geld zu verdienen und sich in Frieden niederzulassen.

Also begann die nächste Etappe ihrer Reise, die bald glückloser und grauenvoller wurde, als sie es sich vorstellen konnten. 

Mary und Dauda reisten durch Agadez, Niger; dann durchquerten sie die Sahara in einem Auto zusammen mit fünf Menschen”: sie selbst und drei andere junge Männer; ihre Reise dauerte zwei Wochen. 

Das Auto hatte mechanische Probleme und sie waren gezwungen den Rest zu Fuß zu gehen. An mehreren Stellen wurden sie von bewaffneten Dieben gejagt. Es gab sehr wenig Essen und Wasser. Sie hörten Gewehrschüsse und verstreuten und versteckten sich in Gebüschen. Eine junge Frau, die sie kennenlernten, wurde erschossen und starb. Sie hatten keine Idee, wie viele andere Pickups oder Autos regelmäßig an ihnen vorbei fuhren, weil jeglicher Laut sie ins Versteck jagte. 

Ich bat sie, die Wüste zu beschreiben; Ich wollte wissen was sie in der Wüstenlandschaft sahen und Mary antwortete mir sofort: „Leichen”. Ich fragte was sie taten wenn sie durstig wurden und kein Wasser hatten. „Du kannst nur Gott bitten, Dir zu verzeihen”, und manchmal erhielten sie Wasser von vorbeifahrenden Transportern. 

Sie kamen in Bani Walid in Libyen an und wurden ins Gefängnis gesteckt, wo man sie auf brutale Weise zwei Monate lang festhielt. Sie bekamen salziges Trinkwasser in kleinsten Mengen, kaum genug zum Überleben. Sie konnten sich nicht waschen, es gab „keine Dusche” schrie Dauda, “man hat kein Trinkwasser und es gibt kein Duschwasser”. Sie erhielten einen einzigen Teller Spaghetti pro Tag, den man ihnen „wie zu Hunden” hinschob. Er wurde täglich wegen Geld verprügelt. Sie wurden beide täglich bedrängt, nach Hause zu telefonieren um Geldüberweisungen zu arrangieren, aber keiner von ihnen hatte Jemanden, den er hätte anrufen können.

Eines Tages passierte ein glücklicher Zustand in dem Gefangenenlager, eine Tür oder etwas ähnliches war offengelassen. Sie rannten zusammen mit einer Gruppe von Anderen, und entkamen. Einige von den Anderen hatten weniger Glück; nach ihrer Schätzung wurden mindestens sechs Menschen vor ihnen erschossen und getötet. 

 
Sie sagen, dass wir Sklaven sind,
weil wir schwarz sind.
 


Sie gingen weiter nach Tripoli in der Hoffnung endlich arbeiten zu können. Sie wurden von einem Araber verschleppt und als Sklaven auf seinen Besitz gebracht. Sie mussten Mist mit ihren eigenen Händen umlagern, ohne dafür bezahlt zu werden und kriegten nur Essen dafür. 

“Sie sagten, dass wir Sklaven seien, weil wir schwarz sind”, erzählte mir Dauda. 

Der Mann, der Mary und Dauda als seine Sklaven hielt, machte jedesmal, wenn er ihnen nahe kam, seine Nase zu; tat so als würde er einen schlechten Geruch mit seinen Händen verdrängen, der seiner Einbildung nach von ihrer schwarzen Haut produziert wurde. Keiner von ihnen kann sich genau erinnern, wie viel Zeit sie als Sklaven verbrachten, weil das tägliche Leben auf der Farm so schwer und entmenschlichend war verloren sie jegliches Gefühl für Zeit. 

Ein anderer Araber hatte schließlich Mitleid mit ihnen. Er half ihnen zu flüchten, gab ihnen Unterkunft und beschützte sie. Ihr “Besitzer” fand sie aber gleich am nächsten Tag. Jener Mann kam dreimal täglich zum Haus und versuchte sie zurück zu locken. Aber Mary sagte ihm „nein, wir sind jetzt frei”.

Sich täglich mit dem Mann auseinanderzusetzen war ermüdend und beunruhigend; anstatt zu versuchen in Tripoli bezahlte Arbeit zu finden, wurde sie deshalb vom Mann, der sie gerettet hatte, direkt zum Küstenlager von Sabratha gebracht, damit sie über das Mittelmeer fliehen konnten. 

Sie schwammen mitten am Tag raus aufs Meer um zum palapa zu kommen. Mary und Dauda überquerten des Mittelmeer in einem Schlauchboot zusammen mit 145 Menschen, darunter drei andere Frauen, von denen eine schwanger war, und zwei Säuglinge. Dauda sah Haie, die um das Boot herum schwammen. Das Boot hatte ein Leck und sie dachten nicht, dass sie überleben würden.

„Alle hatten riesige Angst–”

„Sogar ich”, unterbrach Mary.

Sie waren zwei volle Tage auf dem Wasser ohne Essen und Wasser; sie tranken Seewasser bevor sie von einem portugiesischen Schiff gerettet wurden und dann an die italienische Küstenwache/Guardia Costiera übergeben wurden. Sie kamen am Ostersonntag, den 16. April 2017, in Lampedusa an.

Dauda’s Lieblingsfußballmannschaft is Manchester United, und Mary ist ein grosser Fan von nigerianischen Filmen. Das Essen, das sie am meisten vermissen, ist Potato Leaf Soup, eine alte Lieblingsspeise, die sie zuhause in Sierra Leone genossen haben.

Mary und Dauda sind erstaunliche Menschen.

Übersetzung von: HM

 
Mary in Lampedusa, Italien. April 2017. ©Pamela Kerpius

Mary in Lampedusa, Italien. April 2017. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

Dauda in Lampedusa, Italien. April 2017. ©Pamela Kerpius

Dauda in Lampedusa, Italien. April 2017. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean