Lerne Ousman kennen

Ousman auf der Insel Lampedusa, ungefähr zehn Tage, nachdem er auf dem Mittelmeer gerettet wurde. Lampedusa, Italien. April 2018. ©Pamela Kerpius

Ousman auf der Insel Lampedusa, ungefähr zehn Tage, nachdem er auf dem Mittelmeer gerettet wurde. Lampedusa, Italien. April 2018. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 



Lerne Ousman kennen.

Er ist 16 Jahre alt und kommt aus Brikama, Gambia. 

Um Lampedusa zu erreichen, durchquerte er sechs Länder: Gambia, Senegal, Mali, Burkina, Faso, Niger und das gefährlichste von allen, Libyen. 

Seine Reise dauerte ungefähr neun Monate. 

Er erreichte Agadez in Niger nach fünf Tagen und blieb vier Monate in dieser Stadt. Die Stadt ist heiß und in der Wüste, der Abreiseort für Menschenhändler. Er fand eine schnelle Arbeit als Wasserlieferant. Er lieferte gallonengroße Wasserbehälter an LKWs, die Migranten durch die Wüste transportierte. 

Er selbst durchquerte die Sahara Wüste auf der Ladefläche eines offenen Kleintransporters mit 25 Menschen, unter ihnen eine Frau und ein Kind, das ungefähr acht oder zehn Jahre alt war. 

Die typische Reisedauer beträgt vier bis fünf Tage, aber seine Gruppe brauchte zehn, weil der Kleintransporter mehrere Pannen hatte. Ihnen ging daraufhin das Wasser aus und sie versuchten irgendwas zum Trinken zu finden; schließlich fanden sie eine Wasserquelle, an der auch Tiere tranken. 

Er schlief unter dem Kleintransporter, weil der Sand sonst zu heiß war. Bäume gibt es dort nicht. Es liegen Kadaver von toten Tieren herum. Es gibt auch Gräber von Verstorbenen. Das sind ganz gewöhnliche Anblicke. 

Genau außerhalb der Grenze zu Libyen wurde sein Kleintransporter angehalten und ausgeraubt. Die Personen, die kein Geld hatten, wurden vom Transporter gezerrt und mit Ketten geschlagen und Ousman war einer von ihnen.

Er kam in Baye, Libyen (es ist mir nicht gelungen die Schreibweise dieser Stadt zu bestätigen) an, wo er für eine Nacht blieb. Er fuhr dann weiter nach Sabha, Libyen. 

Ousman blieb für zwei Monate in Sabha, wo er für einen Libyer arbeitete um Geld für seine Weiterreise zu verdienen. „Es ist kein schöner Ort”, sagte er, was eine für Migranten häufig angewandte Formulierung ist, wenn sie die Orte beschreiben, die sie am meisten verletzt haben. 

„Ich hörte immer die Geräusche von Waffen”, sagte Ousman. Ein Freund von ihm, 18 Jahre alt, ging eines Tages raus um Pause zu machen und weil er mit einem Ausreißer verwechselt wurde, ist ihm ins Bein geschossen worden.

Wir sind so glücklich,
dass Italien unsere Leben gerettet hat
 

Das Lager wurde bewacht und in zwei Bereiche geteilt. Einer davon war draußen, wo er auf einer Matte schlief; es gab keine Betten. 

Er arbeitete weiterhin, wobei er manchmal nicht bezahlt wurde. Oftmals wurde er ohne Essen, Trinken oder Bezahlung für den jeweiligen Tag wieder abgeliefert. 

In Sabha wurde er entführt und in die Wüste gebracht, wo ihm seine Entführer alles abnahmen, was er hatte, 15 Dinar. Ich fragte ihn, was er gedacht hatte, als ihm das passierte, da er ja eigentlich noch ein Kind ist. 

Er sagte, dass er seinen Entführern die gleiche Frage gestellt hatte; er hatte auch ständig wiederholt, dass er nur 16 Jahre alt war und nichts weiter hatte, das er ihnen geben könnte. Es ist „ihnen egal! Das einzige das sie wollen ist Geld”. 

Er wurde an ein Gefängnis in Sabha verkauft, in dem er für zwei Monate blieb. So funktionierte die Ausbeutung: eine Person entführt und bestiehlt dich, dann wird man an den nächsten Besitzer verkauft, der für dich ein Lösegeld verlangt oder dich weiter als Sklaven bei sich hält.

In diesem Gefängnis in Sabha wurde Ousman jeden Tag geschlagen. Er trank Wasser aus der Toilette. Nur manchmal gab es etwas zum Essen; und wenn es etwas gab, war es ein Gemisch aus Mehl und Wasser. 

Wasser war knapp. Er duschte einmal im Monat. 

Er wurde wieder an ein anderes Gefängnis in Sabha verkauft. Man setzte ihn in einen Bus, aus dem er entkommen konnte. Er lief zwei Tage lang bis er einen Libyer traf, der ihm erlaubte draussen vor seinem Haus zu bleiben. 

Manchmal machte er ein Lagerfeuer um warm zu bleiben. An manchen Nächten regnete es auf ihn. Dort gab es kein Essen und kein Wasser. Er blieb dort um für den Hausbesitzer die Gartenarbeit oder die Hausarbeit zu verrichten, bis er genügend Geld verdient hatte um seine Weiterreise auf dem Palapa-Boot zu bezahlen; es wurde ihm nie ein Lohn ausgezahlt.

Er wartete zwei Wochen lang im Zeltlager am Hafen von Sabratha, bis das Boot den Hafen verließ.

Er überquerte das Mittelmeer gegen Mitternacht in einem Schlauchboot mit 141 Menschen, inklusive 21 Frauen und unter ihnen fünf, die schwanger waren. Es gab ein Baby an Bord. Er war zwölf Stunden lang auf See. 

Im April 2017 wurde er von der Guardia Costiera gerettet und nach Lampedusa gebracht, wo er gegen sechs Uhr morgens am Osterwochenende ankam. 

„Wir sind so glücklich, dass Italien unsere Leben gerettet hat”, sagte er.

Ousman ist ein erstaunlicher Mensch

Übersetzung von: JAR

 
 
Von links nach rechts: Ousman, Fatou (22, und aus Gambia), Yanks (20, aus Gambia) und Malick (17, aus Gambia). In Lampedusa, April 2018. ©Pamela Kerpius

Von links nach rechts: Ousman, Fatou (22, und aus Gambia), Yanks (20, aus Gambia) und Malick (17, aus Gambia). In Lampedusa, April 2018. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean