Lerne Philip kennen

Philip auf Lampedusa, 1 Monat und 3 Tage nach seiner Rettung. Lampedusa, Italien; 8 April 2017. ©Pamela Kerpius

Philip auf Lampedusa, 1 Monat und 3 Tage nach seiner Rettung. Lampedusa, Italien; 8 April 2017. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 



Lerne Philip kennen.

25 Jahre alt und aus Benin City, Nigeria.

Um nach Lampedusa zu gelangen, durchquerte er drei Länder: Nigeria, Niger und Libyen, das gefährlichste davon.

Philips Reise dauerte ein Jahr und zwei Monate. Er brauchte drei Tage, um von Benin City nach Agadez in Niger zu gelangen. Dort blieb er vier Tage, bevor er sich in die Wüste aufmachte.

Er durchquerte die Sahara am 15. Januar 2016, was fünf Tage dauerte. Nach seiner Ankunft in Libyen wurde er gekidnappt und in ein Lager in Sabha gebracht; die Bewacher des Lagers hatten AK47s und Repetierflinten.

Wie Richard wurde auch Philip regelmäßig gefoltert. Während der nächsten acht Monate bekam er täglich elektrische Schläge. Wie Richard, berichtete Philip, dass die Folterer ihn zwangen, seine Mutter am Telefon um Geld zu bitten, während er vor Schmerzen schrie. Die Geiselnehmer forderten, dass seine Familie 150 Nigerian Naira (NGN) auf ein für diesen Zweck eingerichtetes nigerianisches Bankkonto überweise.

Philips Mutter konnte kein Geld senden und er konnte nicht fliehen (oder sie wollte nicht; die Details der familiären Spannungen in Benin City bleiben unklar; aber er sagte, dass es ungeklärte Probleme gab, die sie davon abgehalten haben könnten, ihm zu helfen). Das Dach des Lagers war mit Hochspannung versehen, so dass ein Fluchtversuch mit einem Stromschlag geendet hätte.

Die Verhältnisse im Lager waren schlecht. Es gab sehr wenig zu essen. Philip hatte einmal fünf Tage gar nichts zu essen. Wenn er etwas zu essen bekam, war es weniger als eine Handvoll von einer Mischung aus Mehl und Dosentomaten. Das Trinkwasser aus der Leitung war salzig. Philip sah mit an, wie sieben Menschen an Hunger starben.

Da die Geiselnehmer kein Geld von Philip erpressen konnten, weil seine Mutter keine Überweisungen tätigte, wurde er irgendwie freigelassen. Nach seiner Freilassung bekam er einen Job als Autowäscher und verdiente 30 Dinars pro Auto. Die Reise nach Tripoli kostete 400 Dinars.

Philip brauchte mehr als eine Woche, um nach Tripoli zu gelangen. Entlang der Strecke ließen ihn die Schlepper manchmal mit Tieren auf einem Hof schlafen. Er bekam jeden Tag ein Stück Brot und trank wiederum salziges Leitungswasser. Wasser in Flaschen war für Migranten mit Geld vorbehalten.

Philip wurde in Tripoli von einem Egypter als Fliesenleger angestellt und verdiente 30-40 Dinars am Tag. Für den Transport auf der Palapa, dem Schlauchboot, das von dem Küstenlager in Sabratha ablegte, musste er 1.200 Dinars aufbringen.

Wenn man die Umstände, in denen Philip in Tripoli lebte, günstig nennen darf, dann hatte er tatsächlich Glück gehabt. Im Gegensatz zu anderen wurde er für seine Arbeit angemessen bezahlt und er hatte einen Schlafplatz und ausreichendes Essen. Viele andere, mit denen ich gesprochen habe und von denen anderswo berichtet wird, wurden versklavt.

Die sehen uns Schwarze als Tiere an,
die man jederzeit töten kann.
 



Dennoch schlief Philip nachts in seinen Schuhen, denn er wusste nie, ob er angegriffen würde oder fliehen musste.

„Die sehen uns Schwarze als Tiere an, die man jederzeit töten kann,” sagte er.

In Sabratha angekommen blieb er  eine Woche lang, bevor er abfuhr. Er durchquerte das Mittelmeer in einem Schlauchboot mit 130-140 Menschen; es war ein Freitag.

Man darf nichts mitnehmen auf die Palapa. Keine zusätzlichen Kleider, keine Schuhe, keine Taschen. Alles was das Boot schwerer oder unbeweglicher machen könnte, sowie Metallteile an der Kleidung (z.B. Nieten an Jeans), die das Boot beschädigen könnten, wird vor dem Einschiffen abgeschnitten.

Philip saß auf der Kante des Schlauchbootes, ein Fuß baumelte ins Wasser.

Die Menschen auf dem Boot hatten Angst. Sie schrien nach Gott.

Ein UN Rettungsteam aus Spanien holte ihn nach neun Stunden aus dem Wasser. Er erinnert sich nur daran, wie  er und die anderen am Anfang ihrer Rettung angewiesen wurden Ruhe zu bewahren und sich nicht zu bewegen. Er wurde an die Guardia Costiera übergeben und am 5. März 2017 nach Lampedusa gebracht.

Ich fragte Philip und Richard, ob sie diese Reise noch einmal machen würden, wenn sie in Nigeria bereits gewusst hätten, was ihnen bevorsteht. Beide riefen wiederholt ein unmissverständliches “nein” aus und schüttelten die Köpfe. Anscheinend ist in Nigeria (und vermutlich auch in anderen westafrikanischen Ländern) nicht bekannt, dass Migranten auf dem Weg nach und durch Libyen oft gefoltert und missbraucht werden.

Philips Mutter weinte am Telefon, als er ihr sagte, dass er es nach Italien geschafft hatte.

Jetzt möchte er hier in die Schule gehen und die Sprache lernen. Er liebt Fußball und wettete  oft auf sein Team, als er noch in Nigeria lebte. „Ich habe oft verloren,” sagt er, aber er steht dennoch weiterhin zu Manchester United.

Philip ist ein erstaunlicher Mensch.

Übersetzung von: HH