Lerne Yoro kennen

12 Tage nachdem Yoro auf See gerettet wurde. Lampedusa, Italien. 28 April 2017. ©Pamela Kerpius

12 Tage nachdem Yoro auf See gerettet wurde. Lampedusa, Italien. 28 April 2017. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 



Lerne Yoro kennen.

22 Jahre alt und aus Brikama, Gambia.

Um nach Lampedusa zu kommen, durchquerte er sechs Länder: Gambia, den Senegal, Mali, Burkina Faso, den Niger und das gefährlichste von allen: Libyen.

Seine Flucht dauerte neun Monate. Er verbrachte einen Monat in Agadez im Niger und hackte dort Holz, das danach verbrannt wurde, um brennbare Kohle herzustellen.

Yoro durchquerte die Sahara zusammen mit 28 Menschen auf der Ladefläche eines Pickups. Er hatte fünf Liter Wasser dabei. Unter den 28 Menschen war ein Junge, den er in Agadez getroffen hatte, doch der Junge war weder gesund noch stark, und fiel aus dem Fahrzeug, als dieses einen Berg hinauffuhr, erzählt Yoro. Der Junge schlug auf einem Stein auf und starb. Das Auto blieb drei Stunden lang stehen, während die Passagiere ihn in einem behelfsmäßigen Grab bestatteten.

Yoro verbrachte insgesamt neun Tage in der Sahara, was mehr als das Doppelte der normalen Reisezeit ist. Er verbrachte 24 Stunden ohne Nahrung. Ihm ging sein Trinkwasser aus. Mit seinem Hemd formte er einen Beutel, in dem er Wasser auffing, das sein Fahrer unterwegs gefunden hatte. 

Er kam in Bahaye* an, seinem ersten Halt nachdem er die Grenze zu Libyen passiert hatte. Dort wurde er für zwei Wochen in einem Lager eingesperrt und bekam täglich eine 0,5-Liter-Flasche Wasser zu trinken, sowie ein Stück Brot, das unter einer Reihe anderer aufgeteilt wurde.

Der nächste Ortswechsel sollte nach Sabha gehen, doch sein Fahrer tauchte nicht auf. Sie riefen eine Kontaktperson in Agadez an, um herauszufinden, was schiefgegangen war. Als Notlösung schickte der Schlepper in Agadez einen Araber, um sie weiterzubringen. Yoro sagt, dass sie an diesem Punkt dazu gezwungen wurden, mit ihm mitzugehen.

Er wurde mit 27 Personen in ein Auto gepfercht. Manche lagen, alle waren zusammengepresst wie Frachtgut in einer Kiste, damit so viele Menschen wie möglich in das Auto passten: umso mehr Menschen du fährst, desto mehr Geld machst du.

Yoro kam in Sabha an und blieb einen Monat in der Stadt.

„Sabha ist sehr taff. Ein sehr hartes Pflaster. Du kannst nicht rausgehen, oder sie machen dich fertig.”

Vier Männer, die er kannte, erhielten Schnittverletzungen, weil sie das Lager verlassen hatten. Yoro hat es nie verlassen, weil er zu viel Angst hatte. Er verbrachte seine Tage damit, zu überleben und salziges Wasser zu trinken, das ihm Magenschmerzen bereitete. Er sagte, das Lager wurde verwaltet wie ein Militärcamp.

Er kam nach Bani Waled und blieb sechs Monate dort. Zunächst arbeitete er, dann war er im Gefängnis.

„Manchmal, wenn du auf einen anständigen Mann triffst, der dir Arbeit beschaffen kann, bezahlt er dich am Ende des Tages.” Aber Yoro wurde nicht immer bezahlt.

Er arbeitete eine ganze Woche für einen Mann, der ihm letztlich nie seinen Lohn auszahlte. Er beschwerte sich und ihm wurde gesagt, dass er kein Anrecht auf Bezahlung habe, da er ein Sklave sei. Der Araber rief die Polizei wegen Yoros ‘Ungehorsam’ und er wurde für zwei Monate ins Gefängnis gesperrt. 

Er sagte, es gab eine Ansammlung von Lagern in der Gegend, alle waren Gefängnisse. Darin wurden täglich Menschen geschlagen und verhungerten. „Jeden Tag sterben Menschen vor Hunger. Jeden Tag sterben Menschen.”

Fast vierzig Menschen sind
vor meinen Augen gestorben.
 


Er wurde heftig geschlagen und ihm wurden Elektroschocks an den Füßen verpasst. Sein Rücken wurde mit einem Rohr geschlagen. Er sagte, dass bis zu dem Zeitpunkt, an dem er aus dem Gefängnis kam, „fast 40 Menschen vor meinen Augen gestorben sind.”

Die Schläge und die Folter wurden angewandt, um Lösegeld zu erpressen. Yoro wurde ein Handy angeboten, mit dem er seine Familie anrufen sollte, während er gefoltert wurde. Doch er erreichte niemanden und er hatte auch kein Geld, das er hätte abgeben können. Er wurde trotzdem geschlagen.

Es war Freitag, als die Araber untereinander Streit hatten, so sagte Yoro. Das war die Ablenkung, die er und etwa die Hälfte der Insassen gebraucht hatten, um zu entkommen.

Er kehrte zu dem Sklavenhalter zurück, der ihn an die Polizei ausgehändigt hatte, und forderte von ihm seine Bezahlung und Medikamente. Er blieb in Bani Waled für drei Tage bis der Mann zugesichert hatte, ihm 30 Dinar und etwas Medizin zu geben.

Durch zahlreiche Fahrten in verschiedenen Autos wurde er nach Tripolis gebracht. Insgesamt dauerte die Reise zwei Wochen. Auch auf diesen Fahrten wurde er unmenschlich behandelt. In Tripolis gab es ein Lager mit etwa 300 Menschen, in dem er eine Woche lang blieb.

Er siedelte ins Küstenlager Sabrathalin über und schlief dort einen Monat lang ohne Schutz . Es regnete auf ihn während er schlief. 

Eines Freitag nachts durchquerte Yoro das Mittelmeer in einem Schlauchboot mit 168 Menschen, darunter 30 Frauen – zwei von ihnen schwanger – sowie sechs Kindern. Er saß auf der Kante des Bootes und seine Füße baumelten im Wasser.

Er war zehn Stunden auf hoher See, bevor ihn die Guardia Costiera aufsammelte und nach Lampedusa brachte, wo er um 6 Uhr morgens am Ostersonntag, den 16. April 2017, ankam.

Als er an seinem ersten Morgen in Lampedusa aufwachte, war sein Gedächtnis wie leergefegt. Er dachte, er wäre noch in Libyen. Aber er hatte überlebt.

Yoro ist ein erstaunlicher Mensch.

Übersetzung von: FW

*Stadtname und Schreibweise nicht bestätigt.


Read Yoro's one-year followup story, recorded May 2018 (English) >

 
In Lampedusa, 28 April 2017. ©Pamela Kerpius

In Lampedusa, 28 April 2017. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

Freunde: Yoro, Ousman, der eine Schildmütze trägt, und Baboucarr. 28 April 2017. Lampedusa, Italien. ©Pamela Kerpius

Freunde: Yoro, Ousman, der eine Schildmütze trägt, und Baboucarr.
28 April 2017. Lampedusa, Italien. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean