Lerne Ali kennen

Ali (Gambia) in Martinszell-Allgäu, Deutschland. 17. Oktober 2022 ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 

Von
Pamela Kerpius

Aufgenommen am:
17. Oktober 2022

Veröffentlicht am:
20. Oktober 2023

Übersetzung von:
Susanne Rinner



Lerne Ali kennen.

Er ist 25 Jahre alt und kommt aus Serekunda, Gambia.

Um Italien zu erreichen, durchquerte er sechs Länder: Gambia, Senegal, Mali, Burkina Faso, Niger und Libyen.

Insgesamt dauerte seine Reise ungefähr sechs Monate, am Anfang war ein Bus, der ihn von Gambia nach Senegal brachte. Er kam in Kaolack, Senegal an und nahm einen anderen Bus, der ihn direkt nach Bamako, Mali brachte. Er kam um 10 Uhr morgens am Busbahnhof in Bamako an, wartete bis zum Einbruch der Dunkelheit und setzte seine Reise dann mit einem Bus nach Niamey, Niger fort, wo er sich sofort versteckte.

In dem Verbindungshaus, das er in Niamey fand, blieb er eine Woche lang gemeinsam mit über 100 anderen Menschen. Dann setzte er seinen Weg nach Agadez fort. Dort blieb er wieder in einem Verbindungshaus, wiederum mit über 100 Menschen, die sich ebenfalls versteckten, dieses Mal blieb er zwei Wochen lang. Auf dem Weg dorthin passierte er mehrere Kontrollen, immer verlangten korrupte Beamte Geld. „Nur Geld“, sagte Ali emotionslos, als ob er andeuten wollte, dass es hätte schlimmer sein können. „Agadez, für mich, war wirklich wie ein Traum“, sagte er, er erinnerte sich an die Silhouette der Stadt, bevor er aus ihr herausgebracht wurde in Richtung der Wüste.

Ali durchquerte die Sahara in fünf Tagen auf der Ladefläche eines Kleinlasters mit 30 weiteren Menschen, einschließlich sieben Frauen und zwei Kindern. Er hatte Wasser und ausreichend Essen, aber allmählich wurden die Wasserreserven weniger und die Menschen wurden mit schwierigen Entscheidungen konfrontiert.

„Wir hielten nur einmal an, um Wasser zu holen und es war einfach verrückt“, sagte Ali, als er sich an die verschmutzte Quelle erinnerte. „Montag, Dienstag“, er begann mit seinen Fingern zu zählen, „Mittwoch, ja, am Mittwoch trank ich das Wasser und dann hatte ich zwei Tage lang einen verdorbenen Magen.“

Während der Fahrt durch die Sahara waren überall menschliche Überreste zu sehen. „Nicht eine, sondern tausende“ von Leichen, sagte Ali. Er schätzte sich dennoch glücklich. Alle auf seinem Kleinlaster überlebten, um Libyen zu sehen, ab und an hielten sie an, um kleine Pausen einzulegen. Gatrone, Libyen, war die erste Stadt im Land, in der er anhielt, aber dort blieb er nicht, er fuhr weiter, bis er eine viel größere Stadt erreichte.

Alis Aufenthalt in Sabha, Libyen, in den nächsten drei Wochen war ungewöhnlich. „Ich war sicher“, sagte er über die Zeit in der Anlage, in der sich mehr als 100 Menschen aufhielten, darunter auch Kinder, Kleinkinder und Frauen. Andere, die dort waren, hatten es schwerer. „Du stirbst oder flüchtest oder bezahlst,“ sagte sein Freund King (Gambia), „es ist beschissen.“

Ali hatte genug Geld, um Essen und Wasser zu beschaffen. Er blieb innerhalb der Anlage, wartete, ging nicht hinaus, während er die Tage an sich vorbeiziehen ließ, bevor der nächste Teil seiner Reise kam.

Jeden Tag kommen Menschen…


Sein direkter Transfer zu einem Camp an der Küste in Sabratha, Libyen, kam, und er blieb einen Monat lang an der Küste in einer Notunterkunft. Es war ein „nicht-fertiggestelltes Haus“, sagte Ali, als sein Freund Buba (Gambia), der auch die Reise durch Libyen gemacht hatte, unterbrach, „überall in Libyen ist es nicht fertig.“ Es war ein Raum, der sich durch Vergänglichkeit auszeichnete. „Jeden Tag kommen Menschen“, sagte Ali, der eine Zahl von mehr als 100 nannte. Menschen gehen auch weg.

Um fünf Uhr morgens legte Ali von der libyschen Küste ab und überquerte das Meer in einem Plastikboot mit mehr als 100 Menschen, einschließlich Frauen und schwangeren Frauen—„In jedem Boot gibt es eine schwangere Frau“, sagte er, so, als ob er den Sachverhalt klarstellen wollte. Er sah nur Wasser und den Himmel über ihm. Fünf Stunden später, um 10 Uhr morgens, wurde er von einem italienischen Boot gerettet und landete am 5. Oktober 2016 auf Sizilien, Italien. Ein oder zwei Tage später wurde er mit einem Bus nach Treviso, Italien überführt, eine Stadt im Norden des Landes, nicht weit von Venedig.

Er ist jetzt 31 Jahre alt und lebt in Martinszell, Deutschland, wo wir seine Migrationsgeschichte am 17. Oktober 2022 aufnahmen.

Ali ist ein erstaunlicher Mensch.