Lerne Alpha kennen

Alpha in seinem Asylwhohnheim in Baexern, Niederlande am 10. September 2021. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 

Von
Pamela Kerpius

Aufgenommen am:
10. September 2021

Veröffentlicht am:
17. September 2021


Übersetzung von:
Ina Correll



Lerne Alpha kennen.

Alpha war 15 Jahre alt und kam aus Bundung, einem Stadtteil von Serekunda, Gambia.

Um Europa zu erreichen, musste er sechs Länder durchqueren: Gambia, Senegal, Mali, Burkina Faso, Niger und Libyen.

Seine Reise dauerte ungefähr ein Jahr und fünf Monate.

Alpha begann seine Reise mit einer Taxifahrt nach Banjul. Dort nahm er die Fähre zur senegalesischen Grenze. Die Grenzpolizei überprüfte alle Reisenden und nahm Schmiergelder, um Leute passieren zu lassen. In Senegal reiste er via Motorradtaxi zu einer ihm unbekannten Stadt und verbrachte dort eine Nacht. Am nächsten Tag kaufte Alpha eine Busfahrkarte, die ihn direkt nach Niamey, Niger bringen würde. Die Fahrkarte war für einen Monat gültig. Dies ermöglichte ihm, unterwegs anzuhalten und trotzdem an seinem Ziel anzukommen.

Auf seiner Reise kam er nach Bamako, Mali, und verbrachte dort eine Nacht in einem Auto. „Es gab unzählig viele Kontrollpunkte unterwegs", sagte Alpha. Der Kontrollpunkt an der Grenze zu Burkina Faso war einer von vielen. Er überquerte die Grenze und reiste durch Burkina Faso und kam schließlich in Niamey, Niger an, wo er zwei oder drei Monate verbrachte.

Alpha saß für eine lange Zeit in Niamey fest, weil er kein Geld mehr hatte. Er verbrachte die Nächte auf dem Fußboden im Busbahnhof. Schließlich schickte ihm sein Bruder aus Mauretanien Geld, damit Alpha seine Reise fortsetzen konnte. Er gelangte nach Agadez, Niger, und blieb dort für fünf Monate in einem Lager mit ungefähr 30-50 anderen Leuten.

Es war gefährlich, das Gebäude alleine zu verlassen. Leute wurden mit dem Messer bedroht. Um Geld zu sparen und sich besseres Essen leisten zu können, kochte er zusammen mit einer Gruppe  anderer Flüchtlinge.

Alpha durchquerte die Sahara auf der Ladefläche eines Lieferwagens mit 30 anderen Leuten, einschließlich zwei Frauen. Um die Reise zu überstehen, hatte er einige Gallonen Wasser mit sich. Außerdem benutzte er einen Stock, der auf der Ladefläche des Lieferwagens platziert war, um das Gleichgewicht auf der holprigen Fahrt zu bewahren.

Er teilte sein Wasser mit den anderen Reisenden, die es benötigten.

„Wir hatten nur einander”, sagte Alpha. „So ist das Leben.”

Er sah Flüchtlingsgruppen in der Wüste, die von ihrem Fahrer, der vorgab Benzin holen zu müssen, zurückgelassen waren.

Im Transit hielt das Auto nicht für die Passagiere an. Als Alpha auf die Toilette musste, entledigte er sich einfach über die Seite des Fahrzeuges. Plötzlich hielt der Fahrer an und verprügelte Alpha mit einem Stock, weil er über die Wasser- und Essensvorräte uriniert hatte, die unter dem Auto befestigt waren.

In der Wüste ist die Sonne „sehr heiß." Um sich vor der Hitze zu schützen, war sein Kopf mit einem Tuch umwickelt, „so wie bei einem Ninja”, sagte Alpha, „so wie der Taliban.”

Er sah Grabsteine im Sand für Reisende, die auf der Wüstendurchquerung gestorben waren. Sein Magen und seine Verdauung waren angeschlagen. Viel später begann er aufgrund von Infektionen, Blut  zu urinieren.

Er begann seine Reise durch die Sahara an einem Montag und durchquerte sie in vier Tagen. Schließlich kam er an einem Donnerstag in Libyen an. Alle Reisenden seiner Gruppe überlebten die Strapazen.

Um sich vor der Hitze zu schützen,
war sein Kopf mit einem Tuch umwickelt,
„so wie bei einem Ninja”, sagte Alpha,
„so wie der Taliban.”


Alpha blieb für drei Monate in einer Überbrückungs Unterkunft in Bayyah* Libyen, die fast 100 Menschen beherbergte. Während dieser Zeit arbeitete er für fünf Libysche Dinare pro Tag. Er erledigte Hausarbeit und putzte, wurde aber auch für technische Aufgaben, wie zum Beispiel Schweißen, angestellt. Allgemein war sein Aufenthalt in Bayyah nicht sicher, es gab immer wieder Schießereien.

Auf seiner Weiterreise nach Sabha, Libyen, waren annähernd 30 Leute mit ihm im Auto. Die Fahrt dauerte drei oder vier Tage und es gab nur Pausen, um die Toilette zu benutzen, oder für das Gebet. Sein Freund war krank und ihm war schwindelig von den Strapazen der Reise. Alpha blieb in einem Lager in Sabha, das mehr als 200 Menschen beherbergte. Er verbrachte ein oder zwei Nächte dort und bat andere Leute, ihm Essen und Wasser zu besorgen, da es nicht sicher war, das Gebäude zu verlassen. Er berichtete, dass es viele Flüchtlinge im Gefängnis in Sabha gab.

Von Sabha reiste er auf der Ladefläche eines Pick-up Trucks weiter nach Bani Walid und blieb dort für drei bis vier Tage. Er schlief keine einzige Nacht und brach dann nach Tripolis auf, wofür er ein bis zwei Tage brauchte.

In Tripolis blieb er sechs Monate in einem Lager, das nach seiner Einschätzung mehr als 3000 Menschen beherbergte. Alpha schlief auf dem Boden in einer großen Halle. Wenn er essen wollte, musste er Arbeit finden. Er rauchte Marihuana, um seine Nerven zu beruhigen und weniger zu essen, da sein Magen immer noch angeschlagen war.

Er reiste von Tripolis nach Garabulli, von wo aus er mit einem Boot um 3 Uhr morgens die libysche Küste verließ. Das Schlauchboot war nicht seetüchtig und der Kapitän konnte es nicht bedienen. Seine Gruppe wurde nach zehn Stunden auf See von einem libyschen Schiff aufgelesen. Er wurde verhaftet und sollte ins Gefängnis kommen. Alpha verlor den Kontakt mit dem Kapitän, dem er immer noch 700 Libysche Dinare schuldete. Er wurde mit 120 anderen Leuten auf einen Bus geladen, der ihn ins libysche Gefängnis in Garabulli bringen sollte.

Alpha wusste, was ihn im Gefängnis erwarten würde. Als der Bus an einem Kreisverkehr die Geschwindigkeit verringerte, rutschte er aus dem Fenster und ließ sich auf den Boden fallen. Er landete auf der harten Erde, schlug sich seinen Kopf an und brach oder verletzte seinen Finger schlimm. Mehrmals versuchte er aufzustehen, fiel aber immer wieder hin. Die Kopfverletzung von seinem Fall war schwer und er schwankte und konnte nicht sprechen. Endlich gelang es ihm, die Straße zu überqueren und ein Auto anzuhalten - er erinnert sich immer noch an die Automarke - ein Mercedes Benz 190. Der Fahrer half ihm, fort zu kommen.

Alpha wartete für eine Woche in Zuwara und traf den Kapitän seines Bootes wieder, der ihm riet, still zu sitzen und zu warten.

Als es Zeit war abzureisen, zwängte er sich in ein Boot mit 150 anderen Leuten. Das Boot war zu beladen. um die Reise zu schaffen. Benzin lief aus, vermischte sich mit dem Meerwasser und brannte auf der Haut.  „Es fühlte sich an wie Pfeffer” auf der Haut, sagte Alpha. Das Boot musste umdrehen und einige der Reisenden auf zwei weitere Schlauchboote verteilen.

Alpha überquerte das Mittelmeer in einem dieser Schlauchboote um 5 oder 6 Uhr morgens am 11. Juni 2017 mit 120 Menschen, einschließlich einer Frau. Er war für fünf Stunden auf offener See, bevor ein algerisches Fischerboot den Rettungsdienst benachrichtigte. Er wurde von der italienischen Küstenwache, der Guardia Costiera,  gerettet und blieb weitere vier Tage auf dem Schiff.

Er legte in Taranto in Puglia, Italien, am 15. Juni 2017 an. „Benvenuto,” willkommen, sagte Alpha.

Er ist mittlerweile 19 Jahre alt und lebt in Baexern, Niederlande, wo wir seine Geschichte am 10. September 2021 aufgezeichnet haben.

Alpha ist ein erstaunlicher Mensch.

*Name des Ortes is nicht bestätigt

 

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