Lerne Camara kennen

Camara in Fronsinone, Italien. 7. Mai 2021. ©Pamela Kerpius

Camara in Fronsinone, Italien. 7. Mai 2021. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 

Von:
Pamela Kerpius

Aufgenommen am
7. Mai 2021

Veröffentlicht am
7. Juli 2021



Lerne Camara kennen.

20 Jahre alt und aus Gambia.

Um nach Europa zu kommen, durchquerte er sechs Länder: Gambia, den Senegal, Mali, Burkina Faso, den Niger und das gefährlichste von allen, Libyen.

Seine Reise dauerte etwa vier Monate. In einem Bus, der ihn zunächst in den Senegal, vom Senegal nach Mali und schließlich nach Burkina Faso brachte, machte er sich am 1. April 2016, dem ersten Freitag des Monats, auf den Weg. In Burkina wurde er von der Polizei verhaftet und sollte zurück nach Gambia abgeschoben werden. Er konnte fliehen.

Er versteckte sich in einem Waldstück, wo er auf eine Frau traf, die ihn mit zu sich nach Hause nahm und ihm Essen gab. Dort blieb er nur eine Nacht. Am nächsten Tag zeigte die Frau ihm die Straße, der er folgen musste, um seine Reise fortzusetzen. Die Straße führte nach Niamey im Niger, doch die Strecke war zu weit, als dass er sie hätte zu Fuß gehen können.

Er umging einen Kontrollpunkt der Polizei und fand einen Schlepper, der ihn den restlichen Weg bis nach Niamey brachte, obwohl er nicht genug Geld hatte, um im Voraus für die Reise zu bezahlen. In Niamey blieb er an einer Bushaltestelle, schlief dort und aß hauptsächlich Brot.

Um zu seinem nächsten Stopp zu gelangen, wartete er auf seine Familie, die er angerufen hatte um Geld zu bekommen und es auf ein Konto zu überweisen und den Schlepper zu bezahlen. Letztlich blieb er insgesamt etwa zwei Wochen an dem Busbahnhof in Niamey, bevor er einen Bus nach Agadez nahm.

Gott allein hat uns dort gerettet
 


Er reiste mit einem eigenen Vorrat an Wasser und Nahrung. Er schlief in einem Ghetto in der Stadt. Immerzu kamen und gingen Menschen. Sie bewegten sich so schnell, dass es unmöglich war zu zählen, wie viele Menschen sich genau dort aufhielten. Er selbst blieb fast zwei Wochen dort und versteckte sich vor der Polizei. Er erinnert sich, dass das kurz nach dem Ende des Ramadans war.

Unterwegs traf er seinen Onkel, der mit Foday (aus Gambia, kam am 22. Juni 2016 an) zusammenarbeitete. „Fo“, wie ihn Camara nennt. Beide erinnern sich, wie sie sich in Agadez begegnet sind, bevor sich ihre Wege trennten.

Camara durchquerte die Sahara auf der Ladefläche eines Pickups mit 35 weiteren Menschen, darunter eine Frau. Er aß Garri um zu überleben, ein weitverbreitetes westafrikanisches Wurzelgemüse, das getrocknet und zerkleinert wird. Er hatte Zigaretten und Marihuana zum Rauchen dabei. „[Dein] Geist braucht Ruhe“, sagte er diesbezüglich.

Drei Tage dauerte die gesamte Durchquerung. Alle im Fahrzeug überlebten. Niemand fiel heraus. Aber auf die Frage, was er auf dem Weg gesehen hat, antwortete er: „Non può dire”, das kann er nicht sagen.

Nach einem kurzen dreitägigen Aufenthalt in einem kleinen Dorf hinter der Grenze fuhren sie direkt in die Stadt Sabha in Libyen. Das war an einem Freitag, nach dem Gebet.

Er hielt sich in einem Ghetto auf, in welchem, so sagte er, es erneut zu viele Bewohner gab, um sie alle zählen zu können, doch er schätzt, dass dort vermutlich mehr als 500 Menschen lebten. Die Gegend war voll mit Waffen. Es gab Zwangsarbeit. Man gab ihm ein Telefon, um seine Familie anzurufen und nach Geld zu fragen, das auf ein Bankkonto überwiesen werden sollte. Er überlebte ohne von den Schleppern im Ghetto verprügelt zu werden.

„Gott allein hat uns dort gerettet“, sagte er über seinen nächsten Zwischenstopp, Bani Walid, wo er nur eineinhalb Tage blieb.

Als nächstes kam er nach Tripolis, wo er sich sechs Tage lang in einem anderen Ghetto oder Gelände aufhielt. Von dort aus ging es für ihn nach Garabulli, eine Region südwestlich von Tripolis. Dort wartete er auf Bescheid, wann es für ihn Zeit sei, in einem Boot abzulegen. Das Meer war rau. Er wartete. Es wurde ruhiger.

Am 29. August 2016, morgens um 4.30 Uhr, überquerte Camara das Mittelmeer in einem Schlauchboot, dem lapalapa, zusammen mit 115 weiteren Menschen, darunter 75 Frauen, eine von ihnen schwanger, sowie Kindern. Das Boot war für acht Stunden auf See. Er wurde dreimal gerettet und auf andere Boote gebracht, bevor er am 31. August 2016 auf Lampedusa ankam.

Er ist jetzt 24 Jahre alt und lebt in Frosinone in Italien, wo wir diese Geschichte am 7. Mai 2021 dokumentiert haben.

Camara ist ein erstaunlicher Mensch.

Übersetzung von: FW