Lerne Ezana Kennen

©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 

Von:
Ying-Yu Alicia Chen

Aufgenommen am
April-May 2020

Veröffentlicht am
28 May 2021

Übersetzt:
Jacqueline Audra Robinson



Lerne Ezana kennen.

Er ist 37 Jahre alt und aus Eritrea. Er wurde in einem Halbwüstengebiet in der Nähe des Roten Meeres geboren, bevor Eritrea die Unabhängigkeit erlangte. 

Sein Name wurde geändert, um seine Identität zu schützen. 

Um Malta zu erreichen, musste er drei Länder durchqueren: Eritrea, Sudan und Libyen.

Seine Reise dauerte drei Jahre, inklusive einem Jahr in einem Gefängnis in Eritrea und einem Jahr in einem Flüchtlingslager im Sudan. 

Er floh aus dem Gefängnis in Eritrea am Abend des 15. Februar 2011. Er über- und durchquerte er Flüsse, Täler und kaputte Straßen, bis er in die kleine Stadt Omahajer kam. Danach erreichte er ein anderes Dorf namens Hamdait, das sich an der sudanesisch-äthiopischen Grenze befindet. Zusammen mit 15 Anderen Flüchtlingen, nahm er einen Bus zum Flüchtlingslager in Shagarab im Hochland. Dort blieb er auf einem Gelände, das tausende andere Menschen beherbergte. 

In den ersten Tagen die er dort verbrachte, erhielt er nur einmal etwas zu Essen. Er hatte sehr wenig Wasser zu Trinken und es gab keine Klinik, die die dringend benötigte medizinische Ausrüstung hatte. Die Duschen und die Toiletten im Lager wurden von anderen Flüchtlingen betrieben; es kostete 0,50 Cent bis 1 US-Dollar pro Nutzung. 

Er wartete drei Monate um den UNHCR-Flüchtlingsstatus zu erhalten, was seine Reise außerhalb von Shagarab einschränkte. Er beantragte die Umsiedlung in die Schweiz, in der Hoffnung auf eine Familienzusammenführung mit seinem Cousin. 

‘Ich blieb im Lager von 2012 bis zum 8. Mai 2013 um 16:00 Uhr.‘ Er erinnert sich an die genaue Uhrzeit. Seine Hütte wurde niedergebrannt, wahrscheinlich von Schmugglern. Er hat alles verloren, inklusive seiner Ausweisdokumente. 

In der Zwischenzeit war sein Antrag auf Umsiedlung immer noch in Bearbeitung. Nachdem er konsistent von der Polizei misshandelt wurde und feindlichen Angriffen der Einheimischen ausgesetzt war, beschlossen er und drei Freunde, ihr Leben zu riskieren und nach Libyen weiterzureisen. Die Grenzen waren nach dem Tod von Gaddafi, dem de-facto-Machthaber Libyens von 1969 bis 2011, offen. 

Ezana durchquerte die Sahara Wüste, und verbrachte seine erste Nacht in den Außenbezirken von Khartum, der Hauptstadt des Sudan. Er hatte zu Ostern gefastet, aber er beendete sein Fasten, als er und seine Freunde von den Schmugglern zum Essen eingeladen wurden. Sie aßen Hammelfleisch bevor sie weiter reisten. 

Er erinnert sich immer noch an das Essen. ‘Es ist wie Grillfleisch, salzig, scharf und saftig, du meine Güte, es war sehr, sehr gut. Ich kann mich immer noch an den Geschmack in meinem Mund erinnern’, sagte Ezana. 

Am nächsten Morgen, quetschte er sich zusammen mit 180 Menschen hinten in einem Kleintransporter, inklusive dutzende Frauen und mehrere Kinder. Es war so eng, sie konnten nicht stehen. 

Er beschrieb die Wüste. “Absterbende Bäume, hässliche Felsen und der Wind, der Staub herum bläst”, sagte er, „inmitten eines endlosen gelben Horizonts. Es lebte nichts”. 

Sie wurden von der libyschen Armee aufgehalten. Sie forderten die Passagiere auf, aus dem Kleintransporter auszusteigen, und sie wurden geschlagen und beschossen. Ein Teenager, der neben ihm stand, wurde von einer Kugel in der Brust und in seinen Armen getroffen.

“Wir wollten, dass sie uns mit nach Libyen nehmen; stattdessen misshandelten sie uns. Es liegt in der Natur einer geschmuggelten Reise”, sagte Ezana. 

Es gab wenig Wasser zu trinken und fast kein Essen. Jeden Tag wurden die Menschen aufgrund des mangelnden Essens und Trinkens schwächer und schwächer. Letztlich hielt der Schmuggler den Transporter an und rief seinen Kollegen an, Verpflegung beim nächsten Treffpunkt zur Verfügung zu stellen. 

“Ich aß ein Stück Käse. Es war das beste Essen, das ich jemals gegessen habe”, sagte Ezana angestrengt, da er versuchte, seine Emotionen zurückzuhalten, als er sich an den Moment des Hungerns erinnerte. Die meisten Menschen im Transporter überlebten die Durchquerung und sie kamen nach acht Tagen in Libyen an.

Wir duschten uns nach elf Tage in der Wüste...


In einer unbekannten Stadt in Libyen wurde er für eine Nacht in einem Hof festgehalten. Am frühen Morgen kamen die libysche Soldaten mit einem Transporter und schlugen sie und gaben ihnen danach Bananen und Tomaten zu essen, bevor sie weiter in die südöstliche Stadt Ajdabiya reisten.

Als er sich kurzzeitig in Ajdabiya aufhielt, rief der Schmuggler, der ihm Hammelfleisch zum Abendessen spendiert hatte, einen Freund an, der sie zu einer Dusche brachte. 

“Wir duschten uns nach elf Tage in der Wüste.” Er war erleichtert, allerdings war die Reise nur zur Hälfte geschafft. 

Die Reise nach Benghazi und der ganze Weg nach Tripolis war sehr gefährlich. Er wurde mit sieben anderen in ein Auto für vier gequetscht, drei auf dem Rücksitz und drei im Kofferraum. Er hatte Glück, dass er die 600 km nach Benghazi vorne saß.

Als sie in Benghazi ankamen, wurden er und die anderen von einem Drogensüchtigen auf ein Zimmer genommen, in dem bereits 10-15 Menschen waren. Sie wurden geschlagen und ihnen wurde gesagt, sie sollten still sein. Sie wurden gezwungen, einen Betrag zu zahlen, der ungefähr 100 US-Dollar entsprach - für Lebensmittel wie Brot, Orangensaft, ein paar Tomaten, Kartoffeln und Zwiebeln - und sie mussten eine zusätzliche Summe von $650 zahlen, für die Weiterreise nach Tripolis.

Seine Überführung nach Tripolis, das 1000 km entfernt ist, erfolgte in einem Militärbus. Einmal hielten sie an einen Checkpoint an, ein Mann musste so dringend auf die Toilette, dass er sich selbst im Sitz vollmachte. “Wir konnten uns nicht bewegen, es war grauenvoll”, sagte er.

Er wurde in ein Lager an der Küste gebracht, am Ende seiner zweiwöchigen Flucht aus dem Sudan. Er wurde in einem Lagerhaus festgehalten, das er nicht verlassen durfte, und er durfte nicht laut sprechen. Er fing an, sein Orientierungssinn zu verlieren. Er war verwirrt.

Sie mussten im Lagerhaus warten, bis ihr Boot zur Abreise bereit war. Ein Schmuggler sagte: “Wenn du mir jetzt das Geld bezahlst, kann ich priorisieren, dass du zuerst gehen kannst”. Aber er zögerte mit seiner Abreise aufgrund des schlechten Wetters. Er wartete einen Monat auf ruhigere Gewässer. In der Nacht des 1. Juli 2013 brachte ihn ein Schmuggler ans Ufer.

Ezana überquerte das Mittelmeer in einem Holzboot mit ungefähr 300 Menschen. Nachdem sie drei Tage auf See waren, ging der Motor des Bootes kaputt. Sie dümpelten 15-18 Stunden in intensiver Sonnenhitze in maltesischen Gewässern. Das Boot begann langsam zu sinken. Die maltesische Regierung setzte zu diesem Zeitpunkt andere EU Nachbarstaaten unter Druck, um die Verantwortung, die Menschen aufzunehmen, gerecht aufzuteilen. 

“Wir warteten und das Boot sank weiter. Vom 1. Juli bis zum 3. Juli waren wir auf See.” Ezana wurde am 4. Juli 2013 von einem maltesischen Schiff gerettet. Es dauerte acht Stunden, um alle Menschen an Bord zu nehmen. Alle überlebten. Ezana erreichte Malta am 4. Juli 2013.

Ezana ist ein erstaunlicher Mensch.