Lerne Lamin kennen

Lamin wollte kein Foto von sich machen lassen. Bild: Auf dem Mittelmeer, vor der Insel Lampedusa. Lampedusa, Italien. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 



Lerne Lamin kennen.

18 Jahre alt und aus Banjul, Gambia.

Er war 17 Jahre alt, als er sein Land verließ. Seine Flucht dauerte fünf Monate.

Er wollte nicht, dass sein Foto gezeigt wird.

Um nach Sizilien zu kommen, durchquerte er sechs Länder: Gambia, den Senegal, Mali, Burkina Faso, den Niger, und das gefährlichste von allen: Libyen.

Er kam in Agadez im Niger an, wo er für einen Monat blieb und mit etwa 50 Menschen in einer Hütte mit einer Tür und einem Fenster lebte. Er aß Bohnen und Reis.

Lamin verließ Agadez und durchquerte die Wüste Sahara auf der Ladefläche eines Pickups mit 30 Personen. Er hatte 10 Liter Wasser bei sich. Er saß auf der Kante des Fahrzeugs, seine Füße baumelten herunter. Dabei hielt er sich an einem Stab fest, der im Inneren des Fahrzeugs befestigt war, damit er nicht rausfiele. Die Fahrt dauerte vier bis fünf Tage.

Er sah menschliche Skelette in der Wüste. Es ist so gefährlich, sagte er, „dass ich selbst meinem Feind nicht wünschen würde, dort hinzukommen.”


Er kam in Sabha in Libyen an, und wurde dort für zwei Monate festgehalten. Es gab 18 Zimmer auf seinem Gelände, und in jedem Zimmer wohnten 20 oder mehr Menschen.

„Sabha ist der gefährlichste Ort in Libyen,” sagte er.

„Selbst am Tag [ist es gefährlich]. Ich erinnere mich, dass ich Brot kaufen ging, und ich sah wie ein junger Mann auf einen älteren Mann auf der Straße schoss. Selbst wenn du am Tag draußen unterwegs bist, siehst du alle eine Waffe tragen.”

Nachts ging er nicht raus.

...dass ich selbst meinem Feind nicht
wünschen würde, dort hinzukommen.
 


Er floh von dem Gelände in Sabha und ging nach Tripolis, wo er vier Tage im Haus eines Schleppers blieb, das keine Fenster hatte. Die Schlepper haben die Flüchtenden komplett ausgezogen und nahmen ihnen alle noch übrigen Habseligkeiten ab. Menschen wurden geschlagen. Es waren einige Frauen darunter. Sie wurden von der Gruppe getrennt, eine war schwanger. Lamin weiß nicht, was mit ihnen passierte, nachdem sie mitgenommen wurden.

Lamin übersiedelte ins Küstenlager Sabratha, wo er für zwei Monate blieb und darauf wartete, die Mittelmeerdurchquerung anzutreten. Mehr als 300 Personen lebten damals im Lager, und die Leute legten oft zusammen, um gemeinsame Mahlzeiten zu kochen.

„Der Ort ist sehr unhygienisch,” warf er ein.

Er beschrieb, dass Menschen am ganzen Körper mit Läusen befallen waren, auch im Brust- und Intimbereich.

Er unterdrückte seinen Drang, auf die Toilette zu gehen, um nicht die Badezimmer benutzen zu müssen, da die Unterkunft so dreckig war.

In diesem Zeitraum von zwei Monaten badete er sich nur ein Mal.

Lamin durchquerte das Mittelmeer am Freitag, den 3. März 2017 in einem Schlauchboot mit nahezu 100 Menschen an Bord. Menschen waren im Inneren des Bootes gestapelt als wären sie Fracht. Sie saßen mit gespreizten Beinen, damit Platz für andere war, um sich zwischen ihre Beine zu setzen.

Ich fragte, ob alle an Bord überlebt hatten.

„Ja.” Und dann erinnerte er sich, „oh–”

Ein Junge namens Kebba, aus Gambia, vielleicht 19 oder 20 Jahre alt, war körperlich so erschöpft von der Fahrt im Schlauchboot und von den Monaten der brutalen Haft im Gefängnis – seine Hände und Beine, sein Kopf und sein Bauch geschwollen –, dass er an Bord des Rettungsschiffes starb.

Lamin wurde von der Guardia Costiera nach Catania auf Sizilien gebracht, wo er am 6. März 2017 ankam.

Er sagt, er hatte Glück, die Flucht überlebt zu haben. Er ist dankbar, in Italien zu sein. Er möchte seine Ausbildung beenden. Er sagt: „Ich gehe wirklich gerne zur Schule.”

Lamin ist ein erstaunlicher Mensch.

Übersetzung von: FW