Lerne Marienna Kennen

Marienna in Hardenberg, Niederlande 10.Juni 2021 ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 

Von:
Pamela Kerpius

Aufgenommen am
10. Juni 2021

Veröffentlicht am
30. Juli 2021

Übersetzung von: Susanne Rinner



Lerne Marienna kennen.

Marienna kommt aus Brikama, Gambia.

Um Europa zu erreichen, musste er sechs Länder durchqueren: Gambia, Senegal, Mali, Burkina Faso, Niger und das gefährlichste von allen, Libyen.

Seine Reise dauerte ungefähr ein Jahr. Er ging zuerst nach Senegal, wo er ungefähr fünf Monate blieb, bevor er den Rest seiner Reise antrat, die ihn letztendlich nach Italien führte.

Er fuhr mit dem Bus von Senegal nach Nali, von dort mit demselben Bus nach Burkina Faso, wo er ungefähr zwei Wochen blieb. In Burkina blieb er in einem Lager, das mehr als 300 Menschen umfasste. Es war gefährlich, das Lager zu verlassen. Daher verliessen nur kleine Gruppen von Menschen das Lager, um sich gegenseitig zu beschützen. Sie gingen nur aus um zu trinken und zu essen.

‘Man kann nicht wollen, dass die Polizei schwarze Menschen sieht,’ sagt Marienna, ‘man muss sich vor ihr verstecken.’

Es gab Kontrollpunkte auf dem Weg, als er seine Reise wiederaufnahm. Der Preis für die Bestechungen war schon in dem Preis für seine Reise enthalten, aber er musste mehr ausgeben um die Polizei auf dem Weg zu bezahlen.

Er hielt eine Woche lang in Niamey, Niger an, in einem Lager, wo sich mehr als 200 Leute aufhielten. “Man kann nicht wollen, dass die Polizei schwarze Menschen sieht,” sagt Marienna, man muss sich vor ihr verstecken,“ um sicher zu sein.

Von Niamey reiste er nach Agadez, Niger. Dort blieb er einen Monat lang. Er hatte kein Geld mehr. Er musste arbeiten und, als seine Schmuggler erkannten, dass er ein Boot steuern konnte, da er als Fischer in Senegal gearbeitet hatte, ernannten sie ihn zum Kapitän, als sie endlich die libysche Küste erreichten. Im Gegenzug wurde der Rest seiner Reise durch Nordafrika bezahlt.

Marienna durchquerte die Sahara auf der Ladefläche eines Kleintransporters. Sein Kleintransporter war einer von fünf in einer Karawane, die je 14 Menschen auf der Ladefläche transportieren. Sie füllten große Container mit Wasser, bevor sie abfuhren und saßen auf den Containern, damit sie nicht herunterfielen.

Eine Person fiel vom Wagen und starb. Der Fahrer hielt an. Die Passagiere nahmen einen Moment, um ihn in der Wüste zu begraben, aber Marienna fügte hinzu: “Zu diesem Zeitpunkt denkt jeder an sich selbst.” Die Fahrt durch die Wüste dauerte zwei Tage, aber falls sich die Karawane verfuhr, konnte es auch einen ganzen Monat dauern, sagte er.

Alle litten aufgrund des Mangels an Essen. Das Wasser war nicht genug, es gab nichts mehr zu trinken.

Er kam in Sabha, Libyen um 18 Uhr an. Wegen Entkräftung und Wassermangel konnte er nicht sprechen oder stehen.

Er blieb drei ganze Tage in Sabha in einem Lager, das Gruppen von Menschen enthielt, die er nicht alle zählen konnte. Es gab keinen Platz zum Schlafen. Er lag auf dem Boden mit drei anderen Menschen, die gepeitscht wurden, während sie schliefen. Ihre Schmuggler und Bewacher prügelten und peitschten sie beliebig.

Er ging als nächstes nach Bani Waled und blieb dort einen Tag lang. Er hatte wenig Stress, da er wusste, dass er fast sofort weiter ging, und er hatte sogar etwas zu essen.

Nach und nach gingen die Menschen nach Tripolis. In einzelnen Autos wurden die Menschen in die Hauptstadt gebracht, um die Behörden nicht aufmerksam zu machen. Marienna blieb zwei Monate lang in Tripolis. Wegen seines früheren Auftrags als Kapitän wurde er gut behandelt. Er wollte sogar nicht weitergehen. Er ließ sich Zeit. Er hatte Essen und konnte sich ausruhen. Seine Schmuggler verhandelten ein Gehalt für ihn, damit er half, Menschen in Tripolis in andere Häuser zu bringen.

Gleichzeitig war er nicht immun gegenüber der Gewalt. Er begegnete libyschen “kleinen Jungen”, die ihre Gewehre auf ihn richteten und ihn bedrohten.

Er kam in Zuwara an, einer Stadt außerhalb von Tripolis am Meer, und er blieb dort vier Wochen lang. Es war “zu schwer” dort, sagte Marienna. Er musste die Boote aufblasen und die beladenen Schlauchboote von der Küste wegstoßen.

Sie wurden alle als gleich angesehen an der Küste, sagte er. Trotz seines Gehalts und seiner Position wurde sein Geld gestohlen. Er trank Wasser von einem Gartenschlauch, einfaches Trinkwasser, das ihm den Magen verdarb. Nach zwei bis drei Wochen, sagte er, gewöhnte sich sein Magen endlich an das Wasser, gerade als es Zeit war abzufahren.

Marienna überquerte das Mittelmeer um 23 Uhr in einem Schlauchboot mit 150 Menschen, darunter drei Frauen, eine von ihnen schwanger, und einem Kind. Er verbrachte sechs Stunden auf dem Wasser. Er sah dem Sonnenaufgang zu. Er wurde von der italienischen Küstenwache gerettet und landete am 26. Juli 2016 auf Lampedusa.

Er lebte in Hardenberg, Niederlande, als wir diese Geschichte am 10. Juni 2021 aufnahmen.

Marienna ist ein erstaunlicher Mensch.