Lerne Modou kennen

Auf Lampedusa, 8 Dezember 2016. ©Pamela Kerpius

Auf Lampedusa, 8 Dezember 2016. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 



Lerne Modou kennen.

Modou ist 24 und kommt aus Lamin in Gambia.

Um nach Lampedusa zu kommen, musste er sechs Länder durchqueren: Gambia, Senegal, Mali, Burkina Faso, Niger und das gefährlichste von allen, Libyen.

Seine Reise dauerte etwa acht Monate. Nach etwa einem Monat kam er in Agadez im Niger an, bevor er dann die Sahara-Wüste auf der Ladefläche eines Kleintransporters zusammen mit 30 anderen Leuten durchquerte. Ihm ging bereits am dritten Tag der fünftägigen Reise das Wasser aus. Andere Mitreisende, die noch Wasserreserven besaßen, teilten sich diese so ein, dass sie das übrig gebliebene Wasser mit Modou und den anderen Reisenden, deren Wasser ebenso zur Neige gegangen war, teilen konnten.

Ich habe ihn gebeten, diese Situation in der Wüste zu beschreiben: „Es ist echt heiß. Das ist eigentlich alles, was ich dir dazu sagen kann. Gott sei Dank hatten wir keine Unfälle.”

Er erzählte mir, dass der Preis, den er für die Überfahrt entrichtet hatte, bereits Gebühren beinhalte, um die Männer zu bezahlen, die an den verschiedenen Kontrollpunkten auf dem Weg nach Libyen standen und dich ausraubten. „Du zahlst also, um sie zu bestechen,” erklärte er, als Teil eines Pauschalpreises. 

Für etwa zwei Wochen lebte Modou in einem Camp in Sabha in Libyen. Zu diesem Zeitpunkt war ihm bereits das Geld ausgegangen, so dass er seine Schwestern anrufen und darum bitten musste, Geld zu schicken, um seine Reise fortzusetzen, denn „die Lage war so verzwickt, dass es kaum Hoffnung gab.” Seine Schwester konnte ihm genug Geld schicken, so dass er von Sabha nach Tripoli weiterreisen konnte.

In Tripoli angekommen, wurde Modou entführt und in einem Gebäude untergebracht, dessen Bausubstanz einem unfertigen Apartment glich. Die Wohnung hatte Gatter und Fenster. In der Nacht gab es kein elektrisches Licht und an Tagen, an denen die Sonne nicht schien, war es schwer, zu verfolgen wie viel Zeit vergangen war.

„Manchmal wusste man nicht, welcher Tag es ist. Ist es Montag, Dienstag? Man hat keine Ahnung.”

Seine Entführer verlangten Geld. Ein Libyer bewachte sie nachts; tagsüber übernahm ein Nigerianer diesen Job.

Er bekam etwa eine Tasse Wasser pro Tag zu trinken. Manchmal würden ihm seine Entführer eine einzige Flasche Wasser geben, um sie mit sechs bis acht anderen zu teilen, die Anzahl derer, die in jedem Zimmer untergebracht waren. Tagelang würde er nichts essen. Wenn es etwas gab, dann war es Brot und manchmal Reis, „aber das war nicht immer so”.

Ich fragte ihn, ob ihm jemals wehgetan wurde, ob es Schläge gab .

„Ja, auf jeden Fall. Wenn sie schlechte Laune hatten, wenn es beispielsweise eine Weile her war, dass sie von irgendeinem von uns im Camp Geld bekommen hatten … [sie] machten uns diese Tage besonders schwer. Für Leute wie uns, die keine [finanzielle] Hilfe erfuhren, war es so unglaublich schwer.”

Modou blieb einen Monat in diesem Gefängnishaus und plante letztendlich zusammen mit anderen eine Flucht. Er schlug ein Fenster ein und entkam, „wir wären sonst gestorben.”

Er wusste nicht, wohin er gehen sollte, also versuchte er, seinen Weg nach Tripolis zu rekonstruieren, wo er zuletzt seine einstigen Schmuggler gesehen hatte. Er hoffte, dass er dort wieder mit ihnen zusammen treffen und sie ihn weiter zur Küste und dann auf ein Boot bringen würden. Allerdings teilten diese ihm mit, dass seine Entführung die ursprüngliche Absprache ungültig gemacht hatte.

Modou war in der Lage, einen günstigeren Preis für den letzten Teil seiner Überfahrt auszuhandeln und erhielt zusätzlich finanzielle Hilfe von einem „reinherzigen” gambischen Freund, den er vor Ort getroffen hatte. Der Mann konnte so viel beisteuern, dass Modou nur noch einen kleinen Betrag von seiner Schwester erbitten musste, um die Küste zu erreichen.

Es war jedoch trotzdem nicht genug, um die Forderungen der Schmuggler zu decken, also blieb Modou noch etwa drei bis vier Monate im unsicheren Tripolis und fand Arbeit. Jedoch „brachte uns das überhaupt nichts”, sagte er. „Der Job warf gerade soviel ab, dass man sich davon ernähren konnte. Du gehst arbeiten und bekommst dafür nur was zu essen, kein Geld”.

Letztendlich sind sie ihm im Küstencamp in Sabratha „losgeworden”, nachdem er nur Nahrungsmittel – Brot oder Reis – als Bezahlung für seine Arbeit erhalten hatte.

Es ist wie Selbstmord.
Im Mittelmeer ist es wie Selbstmord
in diesen Schlauchbooten.
 


Dort lebte Modou für drei Monate in einem Zelt. Ich fragte ihn, ob er Zugang zu Duschen hatte. „Duschen? Es können Tage vergehen bis du die Gelegenheit bekommst, duschen zu können”, sagte er und beschrieb ihre begrenzten Ressourcen. Dadurch dass Sabratha eine Verbindungsstadt und ein Ausgangspunkt für die Reise übers Mittelmeer ist, konnte es hunderte Migranten geben, die dort warteten und jederzeit bereit waren, die Stadt zu verlassen. 

Modou trank Brunnenwasser, das so salzig wie Meerwasser war, aber nicht ganz so stark; in Flaschen abgefülltes Wasser war viel zu teuer. Manchmal bekam er Brot und manchmal etwas Reis zu essen.

Eines nachts ging ein Boot zu Wasser. Es war nicht Modous Boot, aber ein Schmuggler bestellte ihn vor Ort, um das Boot festzuhalten während die Passagiere einstiegen. In letzter Minute stahl er sich an Bord.

In einem Schlauchboot überquerte Modou das Mittelmeer um Mitternacht gemeinsam mit etwa 140 anderen Menschen, unter denen mehr als zehn Frauen und zwei Kinder, Jungen im Alter von fünf bis sechs Jahren, waren.

Ich fragte ihn, wie es sich anfühlte, mitten in der Nacht auf dem Mittelmeer zu sein.

„Es ist als würdest du Selbstmord begehen. Im Mittelmeer begehst du Selbstmord in diesen Schlauchbooten. Das ist, wie ich es sehe. Denn bei so vielen [Menschen] in den Booten und dann noch diese Art von Boot, das ist wie Selbstmord”.

Das einzige, das er dort sehen konnte, waren die Sterne. Er hatte „einfach nur Angst”.

Er war etwa acht bis zehn Stunden auf dem offenen Meer, bevor er von einem deutschen Schiff gerettet und dann an die italienische Küstenwache übergeben wurde, mit der er am 29. Oktober 2016 in Lampedusa ankam.

Er rief seine große Schwester und seinen Vater an, als er dort eintraf. Seine Familie dachte schon, dass er gestorben sei, denn sie hatten monatelang nichts von ihm gehört. Er konnte seine Schwester und seinen Vater durchs Telefon jubeln hören, als sie seinen Anruf aus Italien entgegennahmen.

Ironischerweise, so erzählte mir Modou, hatte er kurz vor seiner Reise nach Europa in Gambia einen Job bei der Einwanderungsbehörde bekommen. Jetzt hat er vor, die Schule zu besuchen. Das ist etwas, wozu er in Gambia keine Chance hatte.

Modou ist unglaublich groß und hat einen wunderbaren Sinn für Humor, als ich ihm sagte, dass er wie ein Turm alle anderen Leute auf der Straße überragte. Seine Lieblingsfussballmannschaft ist der Arsenal FC. 

Modou ist ein erstaunlicher Mensch.

Übersetzung von: CM