Lerne Mohammed kennen

Mohammed auf Lampedusa, Italien. April 2017. ©Pamela Kerpius

Mohammed auf Lampedusa, Italien. April 2017. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 



Lerne Mohammed kennen.

19 Jahre alt und aus Brikama, Gambia.

Um Lampedusa zu erreichen, durchquerte er sechs Länder: Gambia, Senegal, Mali, Burkina Faso, Niger und das gefährlichste von allen, Libyen.

Seine Reise nach Europa dauerte drei Jahre und neun Monate. Mohammed verließ Gambia mit seiner 13-jährigen Schwester.

Zunächst hatte er genug Geld, um zu überleben. Aber es waren immer hungrige Menschen um ihn herum, wenn er und seine Schwester ihre Mahlzeiten einnahmen: „Man kann nicht essen und diese Menschen im Stich lassen". Mohammed teilte sein Geld mit ihnen, damit auch sie essen konnten.

Arbeit wurde schnell zu einer Notwendigkeit. Seine Ersparnisse waren aufgebraucht, als er und seine Schwester Mali erreichten.

Sie erreichten Niamey, die Hauptstadt des Niger. Dort bewohnte er gemeinsam mit seiner Schwester und einem gemeinsamen Freund ein einziges Zimmer über einer Garage. Er arbeitete als Schneider und in der Holzverarbeitung. Er musste auf seine Schwester aufpassen, denn in der Stadt gab es andere Migranten, Nigerianer, wie er sagt, die versucht hatten, sie zu vergewaltigen*. 

Im Laufe einer Woche und eines Tages liefen Mohammed und seine Schwester fast 1.000 Kilometer (über 620 Meilen) nach Agadez im Niger; es gelang ihm, ein paar Autofahrten zwischen kleineren Städten zu ergattern. Er schlief auf der Straße, und zum Essen bekam er eine Süßkartoffel mit Zucker und eine Flasche Wasser, die er zweimal täglich kaufen konnte.

Das Überleben ist
nicht immer das Ergebnis.
 


Er blieb zwei Monate lang in Agedez und arbeitete auf dem Bau, während seine Schwester Wasser und Eis auf der Straße verkaufte. Sie wohnten in einem Lager, das sie mit über 40 Menschen teilten, wahrscheinlich ebenfalls Migranten. 

Er durchquerte die Sahara auf einem Pickup mit weiteren 35 Personen. Er hatte drei Liter Wasser und aß wieder Yamswurzeln mit Zucker, um zu überleben; er und seine Schwester brauchten vier Tage für die Durchquerung.

Er machte deutlich, dass das Überleben nicht garantiert ist.

„Von neun Fahrzeugen werden etwa fünf niemals durchkommen", gibt er zu bedenken. Denn viele Fahrer kennen die Route nicht und haben keinen Kompass. „Sie verfahren sich, und ihre Kunden schaffen es nicht."

Er sah ein Massengrab mit über 100 Menschen, die in der Wüste umgekommen waren. Es gab Menschen, denen vor seinen Augen die Kräfte versagten. Einer schwangeren Frau versagten in der Hitze die Kräfte und sie starb. Eine andere Frau, geschwächt von der heißen Sonne, starb ebenfalls. Sie hielten an, um sie zu begraben, jeweils in einem flachen Grab am Straßenrand. „Wir alle beteten auf unsere eigene Art und Weise, und dann setzten wir unsere Reise fort."

Mohammed kam um 21.00 Uhr in Sabha, Libyen, an und wurde sofort zusammen mit seiner Schwester und den über dreissig anderen auf dem Lastwagen an neue Händler verkauft. Sie verlangten bis zu 1.500 Euro, und drohten ihnen mit dem Tod, wenn sie nicht Familienmitglieder zu Hause um Geld bitten würden.

 
I hörte ständig
die Schreie.
 


Mohammed sagte, seine libyschen Entführer würden auf dem Gelände herumhängen, viel kifften und sich betrinken. Nach der ersten Nacht im dortigen Gefängnis bemerkte er um 6.00 Uhr morgens eine Tür, die zufällig offen stand, packte seine Schwester und floh.

Er blieb an der Stadtgrenze von Sabha, um der Gefangennahme zu entgehen und arbeitete auf dem Bau und bei der Herstellung von Fliesen, während seine Schwester wieder Wasser und Eis auf der Straße verkaufte. Sie wurden regelmäßig ausgeraubt, und er brauchte etwa ein Jahr, um genug Geld für den Transfer nach Tripolis zu sammeln.

Bevor er Tripolis erreichte, wurde er nach Bani Waled, Libyen, gebracht und zusammen mit seiner Schwester sechs Monate lang im Gefängnis festgehalten. Dort wurde er in einen Käfig gesperrt, während seine Schwester vergewaltigt wurde. Er wusste nicht, wie oft es geschah, weil er nichts sehen konnte, aber „ich hörte immer ihre Schreie".

Sie wurde schwanger. Sie wurde wieder vergewaltigt. Sie wurde mit Wasser übergossen und dann mit einem Stromschlag gefoltert, so sehr, dass sich ein Loch durch ihre Hand brannte. Andere mussten dasselbe Schicksal erleiden. Einige wurden so sehr mit Stromschlägen gefoltert, dass sie Finger verloren oder ihre Hände "verunstaltet " wurden, wie Mohammed es beschreibt. 

Selbst nachdem die Migranten Lösegeld an die Schmuggler gezahlt hätten, seien sie lust Mohammeds immer noch misshandelt oder gefoltert worden. Einige von ihnen wurden in die Wüste verschleppt und dort ausgesetzt.

Als sie zwei Monate schwanger war, starb Mohammeds Schwester, als sie mit ihm und über achtzig anderen in einem Benzintank eingesperrt war (eine Art Tankwagen, oder Sattelschlepper). Nur ein durch ein kleines Loch gelangte Luft in den Tank und alle, bis auf 25, erstickten an den giftigen Dämpfen.

Mit Hilfe eines libyschen Mannes (kein Schmuggler) begrub Mohammed seine Schwester in der Wüste und entkam aus dem Gefängnis von Bani Waled. Der Mann gab ihm Essen und half ihm, Medikamente für sein verletztes Bein zu besorgen. Er arbeitete einen Monat und drei Wochen lang im Garten des Mannes, bevor er schließlich nach Tripolis aufbrach.

In Tripolis arbeitete er als Schneider, wurde aber nicht immer bezahlt. Nach acht Monaten in der Stadt wurde er an einen Ort namens "27" versetzt, das einem ehemaligen Armeelager in der Nähe von Sabratha, das der Sohn von Colonel Gaddafi einst betrieben hatte. 

An diesem Ort „war die Freiheit ein Problem", sagte er, aber er tat sich mit verschiedenen Migranten, die er dort traf, zusammen, um etwas Nahrung und Wasser zum Überleben zu kaufen (über 2000 Menschen sollen dort gewesen sein). Sie kochten Wasser auf dem Feuer, um es zum Baden zu verwenden. Er blieb drei Wochen lang und schlief unter einem Baldachin, als Schutz gegen den Mittelmeerwind im noch Frühjahr.

Es war mitten am Tag, als er mit 160 Menschen auf einem Schlauchboot das Mittelmeer überquerte. Zehn Frauen waren an Bord, fünf davon schwanger, dazu vier Kinder und vier Säuglinge. Das Boot war 9 Stunden lang auf dem Meer unterwegs, bevor sie von der italienischen Küstenwache gerettet wurden; alle überlebten. Mohammed landete am Samstag, dem 15. April 2017, um 10 oder 11.00 Uhr nachts auf Lampedusa.

Seine Lieblingsfussballer sind Diego Costa und Eden Hazard, aber er bewundert Michael Jordan mehr als alle anderen. Er möchte in den Vereinigten Staaten, in New York City, professionell Fussball spielen.

Mohammed ist ein erstaunlicher Mensch.

Übersetzung von: BD


*Mohammed beschrieb ein ähnliches nigerianisches Prostitutionsgeschäft, das sich entlang der Schmuggelroute abspielt. Er sah regelmäßig nigerianische Prostituierte, deren Brüder als ihre Zuhälter fungierten. Er sah auch, wie nigerianische Männer ihre Schwestern direkt an Prostitutionsringe verkauften, die den Mädchen für die Sexarbeit die Durchreise nach Italien gewährten.

Er sagt, es sei üblich, dass nigerianische Männer ihre Schwestern aus Nigeria nach Libyen rufen, um sie nach ihrer Ankunft gegen finanziellen Gewinn zu verkaufen. Er beschrieb auch die Folgen für die Mädchen, die in Libyen wegen der gesetzlich verbotenen Sexarbeit getötet werden können oder oft abgeschoben werden.

„Wenn Sie nicht mit dem Mann schlafen, bekommen Sie kein Essen", sagte er. Seiner Ansicht nach sind nigerianische Mädchen und Frauen auf diesen Handel angewiesen, um zu überleben.

Auf Lampedusa, Italien. April 2017. ©Pamela Kerpius

Auf Lampedusa, Italien. April 2017. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean