Lerne Mustapha kennen

Vor den Toren der Piazza Vittorio. Rom, Italien. 1. März 2019. ©Pamela Kerpius

Vor den Toren der Piazza Vittorio. Rom, Italien. 1. März 2019. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 

 

Lerne Mustapha kennen.

Mustapha ist 29 Jahre alt und kommt aus Farafenni, in Gambia.

Um nach Italien zu gelangen durchquerte er fünf Länder: Gambia, Senegal, Mali, Algerien und Libyen. Er verließ Gambia im Mai 2015 und war insgesamt ein Jahr und sechs Monate lang unterwegs.

Nachdem Mustapha Senegal durchquert hatte, kam er in Bamako, Mali an, wo er sich einen Monat lang aufhielt. Statt Arbeit dort zu finden traf er nur Gewalt und Gefangenschaft an und wurde in ein Gebiet südlich von Bamako verschleppt.

„Warst du frei?”

„Frei? Du kannst nicht–,” Mustapha zögerte. „Wenn du Geld hast kannst du dich freikaufen. Wenn du nicht zahlen kannst, dann bleibst du dort. Ich war zwei Monate dort. Ich wurde gezwungen zu arbeiten.”

Mustapha wurde festgehalten und gezwungen seine Familie in Gambia anzurufen, um von ihnen Lösegeld für seine Freilassung zu erpressen.

„Ich habe niemanden, den ich anrufen kann,” sagte Mustapha.

Er wurde zwei Monate lang in einem geschlossenen Lager mit 60 oder 70 weiteren Gefangenen gehalten. Es gab nur wenig oder gar keine Nahrung „manchmal gab es den ganzen Tag nichts zu Essen.”

Die Schlepper trugen AK-47 Gewehre. Einer seiner Schneidezähne wurde ausgeschlagen und er wurde mit geschmolzenem Plastik das auf seine Brust getropft wurde gefoltert. „Mein Körper trägt heute noch die Spuren von diesem Ort,” erzählt Mustapha.

Per Auto wurde er in die südlich gelegene algerische Stadt Tamanrasset gebracht, die ungefähr 240 Km von der Grenze zu Mali entfernt liegt. Dort wurde er erneut in einem Lager festgehalten, und dann weiter nördlich in die algerische Grenzstadt Debdeb verlegt.

Mustapha durchquerte die Sahara auf der Ladefläche eines Pick-up Trucks mit 25 weiteren Leuten. Es dauerte zwei Wochen bis die Gruppe in Bani Walid, Libyen ankam. Er traf um Mitternacht ein, mit einer Karawane von Lastwagen und Kleintransportern, die zum Teil mit bis zu 80 Menschen beladen waren.

Die Passagiere durften die Fahrzeuge nicht ohne Erlaubnis verlassen, sonst wurden sie geschlagen. Libysche Schlepper schossen mit AK-47 Gewehren auf die Erde, um die Flüchtlinge einzuschüchtern. Mustapha wurde mit einem Rohr auf den Brustkorb geschlagen. „Sie schlugen mich wie ein Tier,” sagte er.


Mustapha reiste nach Tripolis weiter, wo er sich für zwei Monate aufhielt und Pazi kennenlernte. Die beiden teilten sich ein Zimmer, während er versuchte Arbeit zu finden. In dieser Zeit wurde er dreimal gekidnappt.

  1. Das erste Mal wurde er für eine unbekannte Zeit festgehalten und schließlich auf das Versprechen hin freigelassen, dass er seinen Entführer zu einem späteren Zeitpunkt Lösegeld zahlen würde.

  2. Das zweite Mal wurde er zur Zwangsarbeit in einem Lager festgehalten. Mustapha wurde an seinen Knöcheln aufgehängt, auf die bloßen Fußsohlen geschlagen und mit geschmolzenem Plastik, das über seinen Körper getropft wurde, gefoltert. Er konnte nach fünf Tagen fliehen.

  3. Das dritte Mal wurde er für einen Tag festgehalten und dann wieder freigelassen.


Letztendlich beschloss Mustapha, dass es zu gefährlich war das Haus tagsüber zu verlassen, um Arbeit zu suchen, weil das Risiko gekidnappt zu werden so groß war. Er schloss sich in sein Zimmer ein und verliess bald Tripolis, um in die Küstenstadt Zuwara, Libyen zu gelangen, die ein Zentrum für Schleppergruppen für die Mittelmeerüberquerung ist.

Am 2. November 2016 verbrachte Mustapha einen Tag an der Küste, er war krank.

Am 3. November 2016 überquerte Mustapha zusammen mit 136 weiteren Leuten in einem Schlauchboot das Mittelmeer. Teil der Gruppe waren 15 Frauen, eine unbekannte Zahl Kinder und zwei Babies, eines zwei Monate, das andere vier Tage alt.

Das einzige was du auf dem offenen Meer siehst ist Wasser, „solo acqua”, sagte Mustapha. Aber dann erinnerte er sich, dass auch Leichen auf dem Wasser trieben.

Mustapha wurde von der Guardia Costiera, der italienischen Küstenwache, gerettet. Er weinte als er das Schiff betrat. Er kam am 5. November 2016 in Trapani, Sizilien, an Land. Tagelang wachte er immer wieder mit dem Gefühl auf, die Wellen unter sich zu spüren.

Mustapha ist ein erstaunlicher Mensch.

Übersetzung von: IC