Lerne Ousman kennen

Ousman, Tage nach seiner Rettung aus dem Mittelmeer. Lampedusa, Italien. April 2017. ©Pamela Kerpius

Ousman, Tage nach seiner Rettung aus dem Mittelmeer. Lampedusa, Italien. April 2017. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 



Lerne Ousman kennen.

19 Jahre alt und aus Serekunda, Gambia.

Um Lampedusa zu erreichen durchquerte er acht Länder: Gambia, Senegal, Guinea-Bissau, Mauritanien, Mali, Burkina Faso, Niger und das gefährlichste von allen, Libyen.

Insgesamt dauerte seine Reise drei Jahre und die Route war einzigartig, da sie kreuz und quer durch Westafrika führte, bevor Ousman endlich auf die etablierte Schlepperroute von Niger nach Libyen und zum Meer gelangte.

Ousmans erste Station war Guinea-Bissau, wo er zwei Jahre und sechs Monate lang als Baumfäller arbeitete. Er verließ Guinea-Bissau, da er eine neue Arbeit suchte und kam in Mauritanien an (falls er den direktesten Weg genommen hat, hätte er noch einmal durch Senegal und vielleicht auch Gambia reisen müssen, aber seine Route kann auch eine andere gewesen sein).

Er arbeitete vier Monate lang in Mauritanien und verließ dann das Land, um weitere Arbeit zu suchen. Er blieb zwei Tage lang in Bamako in Mali und brauchte zwei Tage, um durch Burkina Faso zu reisen.

Er unterbrach seine Reise in der Hauptstadt des Nigers, Niamey, um dann, wie die meisten, nach Agadez weiterzureisen. Er blieb zwei Wochen in Agadez.

Er durchquerte die Sahara auf der Ladefläche eines Pickups mit 28 Personen; die Reise dauerte vier Tage. Er hatte fünf Liter Wasser. Er sah Skelette und Tote. Er hatte Angst. Trotz der ungeheuren Hitze während des Tages, fror er nachts.

Er kam in Baye* in Libyen an und blieb dort eine Nacht, bevor er weiter nach Gadro* reiste, wo er neun Monate lang blieb und arbeitete. Er sagt, dass es in dieser Stadt nicht sicher war. Sein Lohn variierte, je nachdem was sein Arbeitgeber an einem bestimmten Tag ausgeben wollte; sein Tageslohn schwankte zwischen 5 und 15 Dinaren, oder auch rein gar nichts.

Er verließ Gadro und blieb zwei Tage lang in Delgar*, bevor er in Sabha ankam. Er reiste in einem geschlossenen Fahrzeug, so dass ihn keiner sehen konnte. In seinem Lager in Sabha waren über 100 Menschen.

In einem anderen geschlossenen Fahrzeug reiste er noch einmal weiter zu einer unbekannten Stadt, wo er drei Tage lang blieb. Die Reise in dem Fahrzeug war schwierig, da mehr als 60 Leute in dem Fahrzeug eingezwängt waren – und zwar übereinander gestapelt.

Ousmans Fahrt hatte viele Umsteigeplätze in Libyen, und er schätzt, dass er auf seiner Reise an etwa 12 Stationen Halt machte. An jedem Umsteigeplatz wurde ein Fahrer bezahlt, um die Migranten mitzunehmen, was heißt, dass eine Gruppe Menschen an jedem Streckenabschnitt an einen neuen Schlepper verkauft wird.

Es sind zu viele Menschen
im Boot…Alle weinen.
 


Ousman kam in Ain Zara** an, einem Viertel im Südosten von Tripoli. Er wurde dort vier Tage lang in einem Lager eingeschlossen und Freunde im Innern bezahlten sein Essen und Wasser, so dass er nicht verhungerte oder verdurstete; man bekommt in dem Lager nur etwas zu essen, wenn man dafür bezahlen kann, und zu diesem Zeitpunkt hatte Ousman kein Geld mehr.

Er wurde nach Sabrathalin***, einem Küstenlager, überführt, wo er drei Wochen lang blieb. Es war dort nicht sicher. Überall waren Bewaffnete. Er sagte die Zahl der Menschen im Lager war „unzählbar,” aber schätzte, dass es mehr als 5000 waren. Es gab nur wenig Essen und nur unreines Brunnenwasser zu trinken.


Ousman überquerte das Mittelmeer auf einem Schlauchboot mit 168 Menschen, darunter 30 Frauen, zwei von ihnen schwanger, und sechs Kinder.

Ich bat ihn die Szene zu beschreiben: „Es war nicht einfach. Menschen haben geweint. Es sind zu viele Menschen im Boot, deshalb stehen die Menschen, und Wasser schwappt immer wieder herein…Alle weinen.”


Er war zehn Stunden lang auf offener See bevor er von der Guardia Costiera gerettet und nach Lampedusa gebracht wurde. Er kam dort um 6 Uhr morgens am Ostersonntag, dem 16. April 2017 an.

Ousman ist ein erstaunlicher Mensch.

Übersetzung von: PL

 

 

*  Stadtname und Schreibweise nicht bestätigt/verifiziert.

** Das berüchtigte Ain Zara Gefängnis liegt hier, wo eine riesige Anzahl willkürlicher Verhaftungen verzeichnet sind. Die Gefangenen sind ehemalige Sympathisanten von Muammar al-Gaddafi, seine Agenten oder mutmaßliche Agenten, und während nur wenige vor Gericht gebracht wurden, werden viele von ihnen regelmäßig gefoltert und missbraucht, oft in ganz ähnlicher Weise wie die gefangenen Migranten in den inoffiziellen Lagern oder in libyischen Gefängnissen. Das zeigt das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen, die in Libyen passieren.


*** Der Stadtname und seine Schreibweise sind auch nicht bestätigt. Ich fragte ihn ob er das Küstenlager Sabratha mein, wo jeder Migrant, mit dem ich bisher gesprochen habe, auf die Überfahrt gewartet hat, aber er und seine Freunde beharrten, dass es ein anderer Ort war, der als alternativer Verbindungspunkt gegründet wurde. Ich habe ihn nicht auf einer Karte finden können.