Lerne Ousmane kennen

 
Ousmane zuhause in Passau, Deutschland. 11. Juli 2020. ©Pamela Kerpius

Ousmane zuhause in Passau, Deutschland. 11. Juli 2020. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 
 

 

Lerne Ousmane kennen.

24 Jahre alt und aus Gambia.

Um nach Italien zu kommen, durchquerte er sechs Länder: Gambia, den Senegal, Mali, Burkina Faso, den Niger und das gefährlichste von allen, Libyen.

Seine Reise dauerte drei Monate.

Nachdem er Westafrika innerhalb von ein paar Tagen mit dem Auto durchquert hatte, kam er in Niamey, Niger an, wo er für zwei oder drei Tage Halt machte. Dann ging es weiter nach Agadez.

Von Agadez im Niger aus durchquerte Ousmane die Sahara auf der Ladefläche eines Pickups mit insgesamt 24 Personen, ihn selbst eingerechnet. Als er abfuhr, hatte er einen großen Kanister mit fünf Litern Wasser dabei, doch das war nicht genug, um die vier- bis fünftägige Reise zu überstehen. Das Fahrzeug hielt von Zeit zu Zeit, um die Wasserreserven aufzufüllen, aber das Wasser, das sie in Senken fanden, war verschmutzt und für Menschen nicht trinkbar.

„Ich mache das nicht noch einmal,” sagte Ousmane über seine Erfahrungen in der Sahara.

Seine Schlepper machten einen kurzen Zwischenstopp in einer nigrisch-libyschen Grenzstadt, in der hunderte Migranten vor der nächsten Etappe ihrer Reise zusammenkamen, wie Ousmane berichtete. Frauen wurden verschleppt und vergewaltigt oder in die Prostitution verkauft. Er sagte, dort hat „ein Mensch keinen Wert”, dort „brauchen sie bloß dein Geld.”

Du hast keine Rechte.


Er kam in Sabha, Libyen an, wo er für ein paar Nächte blieb und sich auf einem Gelände mit hunderten anderen Migranten versteckte. Er schlief auf dem Fußboden in einer großen Halle. Menschen waren krank, aber es gab weder Medikamente noch Versorgung. Das Essen war knapp, außer man konnte dafür zahlen. Er konnte bei den Schleppern anschreiben lassen und zahlen, nachdem er das Lager verlassen hatte und den nächsten Abschnitt seiner Reise in Richtung Tripolis antrat.

Es war normal in Sabha Menschen zu sehen, die Waffen bei sich trugen. Er sah, dass viele angeschossen und verwundet wurden.

„Man hat keine Rechte,” sagte er.

Die Reise nach Tripolis dauerte zwei Tage. Er fuhr in demselben Pickup mit denselben 23 Personen, die auch bei der Saharadurchquerung dabei gewesen waren.

Schlepper brachten Ousmane und die anderen in ein noch nicht fertig gebautes Haus. In Tripolis gibt es viele solcher nicht fertiggestellter Bauprojekte, erzählte er, und bei vielen dieser Häuser und Gebäude stand nichts außer den Grundmauern. Im Inneren der Häuser war nichts errichtet. Die Schlepper öffneten die Tür und ließen sie herein, dann schlossen sie die Tür hinter ihnen zu.

Ihm wurde eine leere Flasche gegeben, in die er urinieren sollte, denn es gab keine Toiletten. Nachts wurden die Frauen zusammengetrommelt und aus dem Haus gebracht. Dann wurden sie unter Drogen gesetzt, vergewaltigt, sexuell missbraucht oder in die Prostitution verkauft. Er hörte sie weinen. Viele wurden schwanger, doch niemand wusste, wer der Vater war. Männer zahlten 10 bis 15 Dinar, um Sex mit einer Frau zu haben.

Es gab dort Tausende Frauen. Ousmane sagte, „bis zu 3.000” befanden sich in der Gegend, in der er sich aufhielt. Er sagte, dass die Frauen Angst hatten, doch sich weiterhin verkauften um zu überleben. „Wenn du es nicht machst”, sagte Ousmane, „dann bringen sie dich um.”

Ich kannte den Fluss in Gambia,
aber so etwas wie das Meer hatte ich noch nie gesehen.
 


Er verbrachte zwei Monate auf dem Gelände in Tripolis. Für gewöhnlich gab er den Schleppern Geld, damit sie für ihn etwas zu essen kauften, aber manchmal ging er auch selbst und verließ das Lager zusammen mit einem Freund. Auf dem Weg hörten sie Schüsse. Er kaufte Essen für eine Woche oder zwei. Andere im Lager hatten nicht so viel wie er. Aus Mitleid teilte er sein Essen mit ihnen.

„Ich kannte den Fluss in Gambia, aber so etwas wie das Meer hatte ich noch nie gesehen,” sagte er, als er an die Mittelmeerküste kam, ins Küstenlager Sabratha.

Nachdem er mit dem Auto von Tripolis dort hingebracht wurde, blieb er einen Nachmittag. Er kam um 17 Uhr an. Mehr als 1.000 Menschen hatten sich an Sabrathas Küste versammelt. Es gab 11 Lapalapas – das nigerianische Slangwort für aufblasbare Schlauchboote –, aufgereiht für die anstehende Reise in der Nacht.

Ousmane durchquerte das Mittelmeer um 23 Uhr in einem Schlauchboot mit 130 anderen Menschen, darunter 17 Frauen, einige davon waren schwanger. Außerdem waren sechs oder sieben Kinder an Bord, sowie zwei oder drei Babys. Die Frau, die neben ihm im Boot saß, hatte ein kleines Baby dabei. Menschen beteten zu Gott. Er sah Hubschrauber über ihren Köpfen, dann ein Rettungsschiff.

Er war für vier Stunden auf See bevor er von einer italienischen Rettungsmission in internationalen Gewässern gerettet und nach Palermo gebracht wurde. Ousmane erreichte Sizilien am 4. April 2016.

Ousmane ist ein erstaunlicher Mensch.

Übersetzung von: FW


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Open Encounters podcast