Lerne Presley kennen

Presley auf Lampedusa, vier Tage nach seiner Rettung auf See. 19 April 2017. ©Pamela Kerpius

Presley auf Lampedusa, vier Tage nach seiner Rettung auf See. 19 April 2017. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 



Lerne Presley kennen.

24 Jahre alt und aus Benin City, Nigeria.

Um Lampedusa zu erreichen, durchquerte er drei Länder: Nigeria, Niger und das gefährlichste von allen, Libyen.

Die Reise von Presley dauerte dreieinhalb Monate. Um Nigeria zu verlassen, reiste er in einem Bus mit vielen anderen Menschen - mehr Menschen, als er sich erinnern, zählen oder mir im Moment sagen konnte. Er sagte, die saßen einander auf dem Schoß, drängten sich am Boden oder hockten zwischen den Beinen der sitzenden Personen.

Bevor sie die Grenze zum Niger überquerten, platzte ein Reifen des Busses. Sie verließen den Bus und versteckten sich in den Büschen, während sie auf die Reparatur warteten. Aber diese fand nie statt, und so wurden sie auf Fahrräder verteilt, auf denen jeweils zwei Personen zwei Stunden lang weiterfuhren, bis sie die Grenze zum Niger sicher überquerten. 

Presley kam um 17.00 Uhr an und wartete dann bis Mitternacht, um die nächste Etappe in Angriff zu nehmen. Denn nur nachts, in der Dunkelheit konnte man sicher reisen. Er kam nach Zinder im Niger, die zweitgrößte Stadt des Landes, die abseits der Hauptstraße nach Agadez liegt; dort blieb er 5 Tage lang. 

In Agadez befand er sich mit über 100 Personen in einem Lager. Aufgrund einer Razzia flüchteten alle. Um weiterzukommen, musste er seinen neuen Schleusern 150.000 Nigerianische Naira (NGN) zahlen. Irgendwie schaffte er es, die Zahlung zu vermeiden; möglicherweise durch Mithilfe eines anderen Schleusers, der behauptete, Presley habe bereits gezahlt und sei somit startklar. 

Der Bericht ist unklar. Denn selbst wenn man dieselbe Sprache spricht (in diesem Fall Englisch), gibt es Unterschiede in der Formulierung und in der Bedeutung der Wörter, die Übersetzungsschwierigkeiten zwischen verschiedenen Kulturen verursachen.

Presley durchquerte die Sahara auf der Ladefläche eines Lastwagens mit 105 Personen. Das ist die höchste Zahl, die ich bisher genannt bekommen habe; normalerweise sind es 25 bis 40 Personen. Er sagt, die Menschen seien regelrecht aufeinander gestapelt gewesen. 

Die Reise durch die Wüste dauerte sechs Tage. Zwei Menschen starben, ein Mädchen und ein Mann, und man hielt an, um sie am Straßenrand zu begraben. Er sagte, er habe „so viele Gräber" auf am Wegesrand gesehen und große Angst gehabt

In dieser Situation sind wir eins.
Wir müssen zusammen als Einheit weitermachen.
 


Einmal konnte ein ghanaisches Mädchen nicht mehr atmen und fiel vor Hitze und Erschöpfung in Ohnmacht. Wasser war knapp, und auch sein Vorrat war fast aufgebraucht. Aber alle halfen zusammen und teilten miteinander, was noch übrig war: „In dieser Situation sind wir eins. Wir müssen zusammen als Einheit weitermachen."

In Sabha, Libyen, kam er in ein Lager, in dem sich 85 Menschen befanden, darunter 5 Frauen. Wenn überhaupt, dann aßen sie Brot. Denn Essen gab es nur, wenn sie Geld hatten. Und wer kein Geld hatte, bekam auch kein Brot. Presley sagte, dass sie das Essen teilten, damit alle überleben konnten.

Im Lager wurden die Gefangenen mit einem Stock auf die Fußsohlen geschlagen. Manche Menschen erlitten Knochenbrüche. 

Der Besitzer des Lagers vergewaltigte die gefangenen Frauen. Wenn sie nicht gefügig waren, wurden sie geschlagen. Dies geschah jeden Tag.

Er sagt, er sei ein Sklave gewesen, seit er den Niger verlassen habe. Jedes neue Lager, sagt er, bedeute auch einen neuen Sklavenhalter. Was in europäischen und amerikanischen Nachrichten immer wieder als Menschenhändler bezeichnet wird, sind in Presley Augen in Wirklichkeit Sklavenhalter.

Er verbrachte drei Wochen in Sabha und brach dann in das Küstenlager von Sabratha auf, wobei er Tripolis ganz umging. In Sabratha verbrachte er zweieinhalb Monate in einem notdürftig errichteten Zelt und aß zweieinhalb Monate lang eine Paste aus Mehl und Leitungswasser. Dazu trank er salziges Leitungswasser. 

Presley durchquerte das Mittelmeer an einem Freitag um 19.00 Uhr gemeinsam mit 152 Personen in einem Schlauchboot. Es waren „so viele" schwangere Frauen an Bord - nicht von ihren Ehemännern geschwängert, sondern von den Menschenhändlern, die sie während der Gefangenschaft in Libyen vergewaltigt hatten. Ein Baby, nur wenige Monate alt, war auch an Bord.

Er wurde am 15. April 2017, einem Samstagabend, von der italienischen Küstenwache gerettet und nach Lampedusa gebracht. 

Presley war emotional überwältigt, als ich ihn im alten Hafen traf, während ich Besorgungen machte. Er sagte, niemand sonst habe ihn oder seine beiden Freunde Michael und Desmond (ebenfalls beide 24 und aus Nigeria) seit seiner Ankunft auf der Insel gegrüßt. Seit seiner Ankunft ist er hier sicher, aber er ist isoliert.

Er sagte, er sei Gott dankbar, dass er am Leben ist.

Presley ist ein erstaunlicher Mensch.

Übersetzung von: BD