Lerne Promise kennen

Promise (Nigeria) in Neapel, Italien. 29. Oktober 2022 ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 

Von
Chiara Iacuzio

Aufgenommen am:
22. September 2022

Veröffentlicht am:
31. Juli 2023

Übersetzung von:
Jacqueline A. Robinson



Lerne Promise kennen.

19 Jahre alt und aus Nigeria.

Um Europa zu erreichen, durchquerte er drei Länder: Nigeria, Niger und Libyen.

Seine Reise begann in der ersten Aprilwoche 2016 und dauerte sechseinhalb Monate. Bevor er seine Heimat verließ, lebte er mit seinem Vater und seinem jüngeren Bruder und seiner Schwester. Von Nigeria aus überquerte er die Grenze nach Niger, wo er zwei Wochen verbrachte, bis er zusammen mit seinem Cousin sein nächstes Ziel, Agadez in Niger, erreichte.

In Agadez war das Trinkwasser salzig, aber es war alles, was er zum Überleben hatte, ohne die Möglichkeit, teures Wasser in Flaschen zu kaufen. Promise und sein Cousin tranken während der gesamten Reise immer wieder salziges Wasser wie dieses.

Von Agadez aus durchquerte Promise die Wüste Sahara auf der Ladefläche eines Toyota Hilux Pickups, in dem dreißig Personen Platz fanden. “Die Sonne in der Wüste ist fünf mal heißer als die Sonne hier,” sagte Promise, und während der Fahrt wurde der Sand aufgewirbelt und traf die Gesichter. Die Haut schälte sich davon ab.

Eines Tages während der Durchquerung, nach einem ganzen Tag ohne Wasser, fand die Gruppe endlich einen Brunnen: endlich die Erleichterung, ihren Durst zu stillen. Es war 21:00 Uhr und stockdunkel in der Wüste. Als der Morgen anbrach, kehrten sie nochmal zum Brunnen zurück, bevor sie weiter durch die Wüste zogen. Da erfuhren sie, dass das Wasser, das sie in der Nacht zuvor getrunken hatte, verunreinigt war. Es war schwarz. Sie sahen tote menschliche Körper darin schwimmen. Trotzdem mussten sie ihre Reise fortsetzen, wieder einmal ohne Wasser. Promise begann zu weinen.

Nach drei Tagen und drei Nächten in der Wüste kam Promise in Gatrone, Libyen an. In Gatrone angekommen, war Promise so hungrig, dass er keine andere Wahl hatte, als sein Telefon zu verkaufen, um Geld für Essen zu verdienen. Erst nachdem er sein Telefon verkauft hatte, stellte er fest, dass es keine Geschäfte gab, in denen man Lebensmittel kaufen konnte.

In dieser Nacht habe ich so viel Mittelmeerwasser getrunken.

An diesem Abend kochten in der Unterkunft, in der er und sein Cousin untergebracht waren, zwei Personen ein Spaghetti-Gericht. Alle in der Unterkunft waren hungrig, aber die beiden wollten ihr Essen nicht teilen, nicht einmal mit denen, die darum bettelten, denn dieses eine Nudelgericht war ihr eigener langfristiger Nahrungsvorrat. Der Hunger, ob als Zeuge oder als Betroffener, war ein immer wiederkehrendes Thema auf Promises Reise nach Europa.

Die Fahrt nach Sabha, Libyen (Promises nächstes Ziel) dauerte etwa drei Tage. Zunächst hatte er das Geld, um zu überleben, aber das Essen war immer noch ein Kampf. Doch gemeinsam ist man stark, und je mehr Geld die Menschen in Sabha in den gemeinsamen Topf einzahlten, desto größer war die Chance, dass sie etwas zu essen bekamen.

Mit den zwei Kilo “Bako” (das arabische Wort für Gries im libyschen Dialekt), die sie kaufen konnten, ließen sich bis zu fünfzig Personen ernähren. Aber nicht jeder konnte etwas beisteuern, und diejenigen, die es nicht konnten, mussten oft hungern. Promise verbrachte drei Monate in Sabha und verließ die Stadt erst, nachdem er von seinem Onkel 50 Dinar erhalten hatte.

Diesmal machte er sich auf den Weg nach Tripolis. Er kam in Gargaresh an, einem Gebiet unmittelbar westlich der Hauptstadt. Er erinnert sich an einen Mann, der am Ausgang seines Hauses Wache stand und jeden angriff oder ausraubte, der versuchte, das Haus zu verlassen. Promise fühlte sich bedroht und ging deshalb nur noch selten aus dem Haus.

Nach zahlreichen Versuchen erreichte Promise das Küstenlager Sabratha in Libyen, das letzte Stück Land, das er vor dem Versuch, das Meer zu überqueren, finden würde. Er verbrachte zwei lange Monate in dem Lager, wo er Zeuge zahlreicher Misshandlungen wurde, von denen Frauen, wie er sagt, häufig betroffen waren. Er sah einen Migranten, der Frauen im Tausch gegen Freiheit in die Prostitution verkaufte.

Dasselbe geschah im Tausch gegen Lebensmittel: Die Frauen brauchten dringend etwas zum Essen und ein rücksichtsloser Mann nutzte dies aus. Er nahm ein einziges Sandwich und schnitt es in zehn Stücke; diejenige der Frauen, die verzweifelt genug war, bekam im Austausch gegen Sex eines dieser kleinen Stücke. Das war der Preis für Essen für hungernde Frauen. In anderen Fällen wurde die Bezahlung für die Prostitution zurückgehalten. Dies geschah mit einer Gruppe von Frauen, die regelmäßig von einem Mann vergewaltigt wurde, der das Gelände nach Belieben betrat, wie sich Promise mit Entsetzen in den Augen erinnerte.

Das erste Mal, dass Promise versuchte, das Mittelmeer zu überqueren, war Mitte September 2016. In dieser Nacht wurden die Schmuggler darüber informiert, dass die libysche Polizei auf dem Wasser patrouillierten, die Überfahrt fand nicht statt und das Boot ging zurück an Land. Eine Woche später versuchte er es erneut. Die Frauen stiegen zuerst in das Schlauchboot ein, die Männer folgten auf den hinteren Plätzen. Das Boot lag noch am Ufer, als die dreißig Passagiere sahen, dass Wasser durch den Holzboden drang. Die Fahrt wurde abgebrochen, und er fand sich erneut auf libyschem Boden.

Zwei Wochen später, am 12. Oktober 2016 um 14:30 Uhr, überquerte Promise in einem Schlauchboot mit 150 Menschen, darunter mehreren Frauen und zwei Babys, das Mittelmeer. Das Boot trug den Namen "Lampedusa Boat”, und um 15:30 Uhr - gerade einmal anderthalb Stunden später, wie Promise sagt - fing das Wasser schon an, ins Boot zu laufen. Aber er war fest entschlossen, diese Überfahrt zu machen: "Wir konnten nicht zurück nach Libyen gehen: Wir waren nicht bereit zu sterben”, sagte er.

Die Passagiere zogen ihre Kleider aus und benutzten sie, um das Wasser aufzusaugen, in einem verzweifelten Versuch, das Boot über Wasser zu halten. Dann blieb plötzlich der Motor stehen. Das Lampedusa-Boot trieb leblos, wie ein Holzsplitter auf dem rauen Wasser.

Ein tunesisches Frachtschiff fuhr vorbei. Promise und die anderen Passagiere dachten, sie würden bald gerettet werden. Sie winkten und schrien - sie taten alles, was sie konnten, um die Aufmerksamkeit des Schiffes zu erregen, aber es beachtete sie nicht einmal und raste davon.

In einem solchen Moment muss man schnell denken, aber schnelles Denken führt nicht immer zu der besten oder sichersten Lösung. Auf dem Lampedusa-Boot waren vier Gallonen Benzin in Plastikbehältern gelagert. Einige Passagiere dachten daran, die Behälter als Schwimmhilfen zu benutzen.

“Libyisches Benzin ist nicht wie das italienische”, sagte Promise, “wenn man es anfasst, verbrennt es die Haut”.

Der Grund dafür ist der folgende: Wenn sich das Meerwasser mit dem Benzin vermischt, kommt es zu einer chemischen Verbrennung, die die Haut sofort versengt und manchmal Verbrennungen dritten Grades verursacht. Frauen und Kinder sind davon am stärksten betroffen, da sie häufig in der Mitte des Bootes auf dem Boden platziert werden. Fälschlicherweise wird dieser Platz als sicherer angesehen, aber dort sammelt sich der auslaufende Treibstoff, so dass die Passagiere anfälliger für Verbrennungen sind.

Die Passagiere leerten die Container ins Wasser. Einige rutschten ins Meer. “Es war furchtbar”, sagte Promise, “alle weinten, die Babys weinten”. Jeder, der ins Wasser geriet, erlitt unerträgliche Hautverbrennungen.

Um 23:59 Uhr sah Promise ein spanisches Flugzeug. Zehn Minuten später tauchte ein Schiff am Horizont auf, ein Schiff des spanischen Roten Kreuzes. Es umkreiste sie dreimal. Zwei Passagiere sprangen auf das Schiff zu, während es sich noch bewegte, und starben.

Das Rettungsteam begann, Rettungswesten zu verteilen. Promise erklärte: “Das Rettungsteam gibt die Schwimmweste an dich weiter und du musst sie an die nächste Person hinter dir weitergeben und so weiter.” Doch die Menschen begannen sich zu bewegen und gerieten in Panik, und das Chaos an Bord des Bootes warf einundzwanzig Menschen ins Wasser. Sie starben alle, bevor sie gerettet werden konnten.

Promise, der an der Seite des Boots mit den Beinen über dem Bootsrand saß, wurde von den entgegenkommenden Wellen ins Wasser geschleudert. Er konnte nicht schwimmen, hielt sich aber mit der Schwimmweste, die er bereits trug, über Wasser. Als das Rettungsboot des Spanischen Roten Kreuzes um das Beiboot herum manövrierte, um die Schwimmwesten auszuteilen, wurde er jedoch unter Wasser eingeklemmt. Seine Mitreisenden begannen zu schreien.

“Ihr Boot hat mich erstickt”, sagte Promise. “Sie retteten mich aus dem Wasser und setzten mich in das Rettungsboot”, sagte er. “Sie mussten auf meine Brust drücken, damit ich das Wasser ausspucken konnte. In dieser Nacht habe ich so viel Mittelmeerwasser getrunken.”

Promise und die anderen Passagiere wurden am 13. Oktober 2016 gerettet und während eines Sturms, der sie einen ganzen Tag lang vom Hafen fernhielt, während sich die Wetterbedingungen verbesserten, in europäische Gewässer gebracht. Es gab nur wenig Nahrung und Wasser, aber er war am Leben. Er landete am 14. Oktober 2016 um 21:00 Uhr in Catania, Sizilien.

Er ist jetzt 26 Jahre alt und lebt in Neapel, Italien, wo wir diese Geschichte am 22. September 2022 aufgenommen haben.

Promise ist ein erstaunlicher Mensch.