Lerne Richard kennen

Richard, etwa einen Monat nach seiner Rettung aus dem Mittelmeer. Lampedusa, Italien; April 2017. ©Pamela Kerpius

Richard, etwa einen Monat nach seiner Rettung aus dem Mittelmeer. Lampedusa, Italien; April 2017. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 



Lerne Richard kennen.

22 Jahre alt und aus Benin-Stadt, Nigeria.

Um nach Lampedusa zu gelangen, durchquerte er drei Länder: Nigeria, Niger und, am gefährlichsten von allen, Libyen.

Richard verließ Nigeria am 10. Juli 2016 und seine Reise dauerte etwa neun Monate. Er hatte einen Bruder, der aber durch einen Bombenanschlag in der Stadt getötet wurde. Er musste fliehen, da auch er und seine achtzehnjährige Schwester Faith verfolgt wurden. Sein Haus wurde durch Bomben zerstört, aber seine Mutter blieb trotzdem zurück.

Zusammen mit seiner Schwester verließ er die Stadt und verbrachte drei Tage auf der Straße nach Agadez im Niger. Dort blieben sie für eine Woche.

Von Agadez aus und immer noch in Begleitung seiner Schwester durchquerte er die Sahara in einem Auto mit 26 Menschen. Es kostete ihn 80,000 nigerianische Naira (NGN), was in etwa 180 Euro entspricht. Er sah viele tote Menschen und Tiere auf der Strecke. Es ist gelinde gesagt heiß und der Tod ist allgegenwärtig.

Er kam in einer Stadt in Libyen an, deren Namen ich nicht bestätigen kann. Namen werden mir mündlich mitgeteilt und ich schreibe sie dann phonetisch in mein Notizbuch, bis ich die Schreibweise auf einer Karte abgleichen kann. Den Namen dieser Stadt konnte ich aber nicht finden. Die Stadt mag auch nicht so viel bedeuten: nichts passierte dort; aber sie ist dennoch ein Punkt auf einer etablierten Strecke und verdient es deshalb zumindest dokumentiert zu werden.

Gefangene wurden auf die
Fußsohlen geschlagen…
 


Richard kam in Sabha in Libyen an und wurde dort drei Monate lang im Gefängnis festgehalten.

Die Schlepper in Sabha benutzten ein Stück Wasserrohr um ihn zu schlagen. Gefangene wurden auf die Fußsohlen geschlagen, „fünfzig Schläge” jeden Tag, erzählte er mir. Sie machen das, nachdem sie dir ein Telefon geben um deine Familie um Geld zu fragen. Deine Familie hört dann am anderen Ende der Leitung mit, wie du vor Schmerz von den Schlägen schreist.

Jeden Tag wurden seine Arme mit einem heißen Stück Metall verbrannt und er wurde mit Stromschlägen gefoltert. Richards Fall war besonders heikel, da seine Schwester mit Zwangsprostitution bedroht wurde, falls seine Familie kein Geld schicken würde um für ihre Freilassung zu bezahlen.

Prostitution ist unübersehbar. Frauen und Mädchen werden auf dem Gelände festgehalten und Männer aus Sabha wissen, dass sie dort hingehen können, um Sex zu kaufen. Das ist eine weitere Facette des Schleppergeschäfts in West- und Nordafrika. Sowohl Richard als auch sein Freund Philip wurden Zeugen von öffentlichen Vergewaltigungen im Gefängniskomplex, in dem sie lebten.

Täglich bekam Richard eine Handvoll Reis, die mit Dosentomaten gemischt wurde, zu essen. Manchmal bekam er abends auch einen Löffel Spaghetti, sein Anteil eines einzigen Tellers, der einer ganzen Gruppe Gefangener gegeben wurde. Sie tranken salziges Leitungswasser. Die Menschen hungerten jeden Tag und wurden krank vom Wasser.

Richards Mutter verkaufte schließlich ihr Land und überwies 460.000 NGN auf ein nigerianisches Konto, um Richard und Faith freizukaufen.

 
Ich weiß nicht, wie ich aus dem
Wasser gerettet wurde. Es war Gott.
 


Schlepper haben Konten in jedem Land, aus dem Migranten kommen, um schnelle und einfache Überweisungen zu ermöglichen.

Richard und Faith brachen in einem Pickup Richtung Tripoli auf. Er wurde dort krank und ein Mann aus Kamerun, auch ein Migrant, der „Doktor” genannt wurde, gab ihm etwas einfache Medizin, um gesund zu werden.

Seine Schwester arbeitete als Verkäuferin  und Richard arbeitete als ein Schweißer innerhalb der Stadtgrenzen von Tripoli, jeder für ungefähr vier Monate.

Am 14. January 2017 gab es einen Schusswechsel zwischen der Polizei und arabischen Drogen- und Waffenschmugglern. Schmuggler in Tripoli benutzen schwarze Migranten als Arbeiter in ihren Machenschaften, da sie selber harte Konsequenzen fürchten müssten, falls sie gefasst würden. Deshalb stellen sie Leute aus Ghana, Gambia, usw. an, um Waffen und Drogen abzusetzen.

Bei einer kurzen Googlerecherche konnte ich nichts über die Schießerei am 14. Januar herausfinden, aber Richard und Philip erzählen mir, dass es viele Tote gab. 1.200 schwarze Flüchtlinge wurden erschossen und weitere 800 wurden aus Libyen abgeschoben. Viele der Todesopfer waren unbeteiligte Zuschauer aus der näheren Umgebung.

Unter den Opfern war auch Richards Schwester Faith, die in einem nahegelegenen Geschäft arbeitete. Richards Mutter denkt immer noch, dass Faith lebt, weil Richard bisher nicht den Mut hatte ihr über Faiths Tod zu berichten: „sie würde einfach sterben,” sagt er. Wenn sie am Telefon reden sagt er einfach, dass sie ausgegangen sei, es ihr aber gut gehe.

Richard verließ Tripoli in Richtung Sabratha und blieb für einen Tag in der Küstenstadt.

Er überquerte das Mittelmeer in einem Gummiboot um 5 oder 6 Uhr abends mit 130 bis 140 Menschen, darunter acht Frauen; es waren keine Kinder oder Babies an Bord. Richard saß auf dem Rand des Bootes mit einem Fuß im Wasser.

Als eine Welle das Boot erfasste, wurde er mit acht weiteren Passagieren über Bord geworfen; zwei wurden gerettet: er und ein anderer Migrant; sieben ertranken vor ihren Augen.

„Ich weiß nicht, wie ich aus dem Wasser gerettet wurde. Es war Gott,” sagt er.

Philip war im gleichen Boot wie Richard und wurde Zeuge des Ganzen. „Dieser Mann sollte jetzt eigentlich tot sein,” sagt er.

Im Ganzen war er neun Stunden auf hoher See. Ein spanisches Schiff nahm ihn an Bord. Von dort wurde er an die Guardia Costiera übergeben, die ihn schließlich am 5. März 2017 nach Lampedusa brachte.

Er hat eine Frau in Nigeria und eine kleine Tochter namens Joy, die am 15. November 2016 geboren wurde. Her liebt Fußball. Er ist gebildet und hat einen Schulabschluss. Er würde gerne seine Ausbildung fortsetzen und arbeiten, wahrscheinlich als Schweißer. Zur gegebenen Zeit würde er gerne seine Frau und sein Kind aus Nigeria zu sich holen.

Richard ist ein erstaunlicher Mensch.

Übersetzung von: PL

 
 
April 2017. ©Pamela Kerpius

April 2017. ©Pamela Kerpius