Lerne Samba Kennen

Samba am Kolosseum in Rom, Italien, am 16 April 2021 ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 

Von: Pamela Kerpius

Aufgenommen am
16. April 2021

Veröffentlicht am
31. Mai 2021


Lerne Samba kennen.

Samba ist 23 Jahre alt und kommt aus Serekunda in Gambia.

Um Europa zu erreichen musste er fünf Länder durchqueren: Senegal, Mali, Burkina Faso, Niger, und das gefährlichste von allen, Libyen. 

Samba kommt ursprünglich aus Gambia, zog aber 2012 nach Senegal. In 2015 verließ er den Senegal um seine Reise nach Europa anzutreten, die ungefähr ein Jahr dauerte. 

Nachdem sein Bus vom Senegal Mali erreichte, traf Samba auf einige Sicherheitskontrollen, die mehr zur Einnahme von Schmiergeldern eingerichtet waren, als zur Sicherung der Grenze. Auch wenn Reisende aufgefordert wurden ihre Papiere zu zeigen, gab es doch eine Rangordnung was die Zahlung von Gebühren anbetraf, die abhängig vom Status der Reisedokumente war. “Wenn du deine Papiere hast, musst du eine geringere Gebühr zahlen. Ohne Dokumente sind die Kosten höher.”

Reisende wurden häufig festgenommen. Die durchschnittliche Haltezeit war drei bis fünf Tage, doch Samba wurde nur einige Minuten festgehalten, bevor er 1000 Westafrikanische CFA Franc für seine Freilassung zahlte.

Samba spricht auch die westafrikanische Stammessprache Bambara, was die Verständigung für  ihn in Mali und Burkina Faso wesentlich erleichterte. Die Sicherheitskontrollen in Burkina Faso waren deutlich schwieriger als die anderen und seine Sprachkenntnisse ermöglichten ihm eine schnellere Durchreise. Trotzdem sah er einige Mitreisende, die deportiert wurden, auch wenn sie ihre Personalausweise hatten.

Auf seiner Durchreise kam es Samba auch zugute, dass er genügend Geld hatte, um die nötigen Schmiergelder zu zahlen. An seinem letzten Halt in Burkina Faso zahlte er 3000 CFA um schließlich mit dem Bus weiter nach Agadez, Niger reisen zu können.

Man muss schnell sein...
 

Er verbrachte eine Woche in einem Gruppenlager in Agadez mit mehr als 100 weiteren Migranten. Er schlief dicht an dicht mit den anderen Reisenden auf dem Boden und hatte eine Hand voll gekochten Reis von der gemeinschaftlichen  Mahlzeit zum Essen, die nach seiner Schätzung genug für fünf Personen war. “Man muss schnell sein”, sagte Samba. Manchmal würden Leute nichts essen, weil es nicht genug Nahrung für alle gab. Sie hatten etwas Wasser aus Flaschen und tranken gelegentlich auch Wasser aus einem Brunnen. Alle Reisenden im Lager waren Männer. Ab und zu wagten sie sich aus dem Lager, um Bewegung zu haben und nach Lebensmitteln zu suchen. Allerdings nie nach 21 Uhr, weil es dann in der Dunkelheit viel zu gefährlich war und Polizeistreifen unterwegs waren. 

Samba verließ das Gruppenlager und durchquerte die Sahara auf der Ladefläche eines großen Pickup Trucks, möglicherweise auch auf einem Lastwagen, der 50 bis 60 Leute transportierte. Die Reisegruppe hatte eine Anzahl an Wasserbehältern dabei, die jeweils vier oder fünf Liter Wasser hielten. Allerdings wurde das Wasser vorne in der Fahrerkabine gelagert und deshalb konnte man nur dann trinken, wenn der Transport eine Pause machte.

Eine einzige Frau war mit der Männergruppe unterwegs und sie fuhr vorne bei dem Fahrer mit. In der Wüste ist die Sichtweite bei Nacht sehr begrenzt. Man kann nichts sehen, es ist zu dunkel. Die Gruppe schlief auf der Erde. Samba erinnert sich, dass er einen einzigen Baum auf seiner Reise durch die Wüste gesehen hat. Er erinnert sich auch, dass er häufiger Leichname sah, die unterwegs begraben waren. Nachdem die mitgebrachten Trinkwasserreserven aufgebraucht waren, tranken er und die anderen schmutziges Brunnenwasser.

Zu einem Zeitpunkt fiel ein junger Mann vom Lastwagen. Glücklicherweise wurde er aber wieder aufgenommen und alle Passagiere überlebten die Wüstendurchquerung, die drei oder vier Tage andauerte.

Samba kam in Gadron* Libyen an, blieb aber nur einige Stunden dort, bevor er nach Sabha weitertransportiert wurde, wo er sich für eine Woche aufhielt.

Der Hof um das Gruppenlager in Sabha beherbergte mehr als 400 Migranten, einschließlich Frauen und Kinder und Menschen vieler Nationen - Gambier, Senegalesen, Malier, Nigerier und mehr.

Die nigerischen Frauen hatten kein Geld und arbeiteten als Prostituierte, um überleben zu können. Überall in der Stadt gab es Bordelle, wie auch in Tripoli, was er später sah, als er dort ankam.

In Sabha waren die Verhältnisse gefährlich. Eine gambische Frau, die Samba kannte, wurde bedroht. Er versuchte sie zu beschützen, aber eines Nachts, nachdem er eingeschlafen war, wurde sie überwältigt und vergewaltigt.

Die meisten Leute verließen das Gruppenlager nicht, weil es zu gefährlich war und weil sie kein Geld hatten um die nötigen Vorräte auf dem nahegelegenen Markt zu kaufen. Der Markt war spezifisch für die durchreisenden Migranten und die Preise für Lebensmittel und Wasser waren überteuert, ungefähr zweimal so hoch als normalerweise.

Die Reisenden, die Geld hatten, legten es zusammen, um Lebensmittel zu kaufen und ihr Essen als Gruppe zuzubereiten. Migranten ohne Geld waren davon abhängig, was vom Lager an unzureichender Nahrung und schmutzigem Leitungswasser zur Verfügung gestellt wurde.

In Sabha behaupteten Sambas Schlepper , dass er nur für den Transport nach Tripolis, einige Stationen weiter nördlich in Libyen, gezahlt hätte. Doch er hatte bereits für die gesamte Reise zur Küste gezahlt. Sambas Onkel kannte einen der Schlepper, der von Anfang an die Gruppe begleitet hatte, und als Samba seinen Namen erwähnte, zeigte sich der Schlepper bereitwillig und gab nach.

Samba kam in Bani Walid an und wollte sofort weiterreisen.

“Jeden Tag hörst du morgen, morgen”. Letztendlich blieb er zwei Wochen dort. Es ist weithin bekannt, dass Bani Walid eine gefährlichere Stadt als Sabha ist und das war auch Sambas Erfahrung. Mehr als 200 Menschen waren in seinem Gruppenlager eingeschlossen, je drei bis vier Personen auf ein kleines Zimmer. Es gab keine separaten Waschräume und die Leute gingen mitten im Zimmer auf die Toilette, direkt auf dem Boden, auf dem sie auch schliefen. Er hatte so wenig Platz, dass er seine Arme und Beine nicht ausstrecken konnte während er schlief. Im nächsten Zimmer hörte er, wie ein Mann geschlagen wurde, weil er die Regeln gebrochen hatte und das Lager verlassen hatte, um Essen zu finden. 

Samba riet seinen Freunden zuhause in Westafrika, nicht zu kommen.

“Das Leid das ich dort gesehen habe, ich möchte nicht, dass mein Bruder nach Libyen kommt - ich möchte nicht, dass er die gleichen Schmerzen erlebt”, sagt Samba.

In Tripoli blieb Samba für einen Monat mit 100 bis 150 weiteren Reisenden, einschließlich Frauen und Kinder, in einem Lager. Wie in den anderen Orten zuvor, hatten auch hier nur diejenigen mit Geld in der Tasche den Luxus Essen und sauberes Wasser zu haben. Samba trank nur Leitungswasser. Er versuchte Arbeit zu finden. Jeden Tag stand er um sieben oder acht Uhr morgens an einer Straßenecke an der es üblich war, dass Migranten von Arbeitgebern für Tagesarbeit abgeholt wurden. 

Es war gefährlich, weil man nicht jedem, der Arbeit anbot, trauen konnte. Samba kannte einen Mann, der angegriffen wurde und dessen Bein so schwer verletzt war, dass er keine Treppen mehr heruntersteigen konnte.

Von Tripoli aus gelang Samba in ein Küstenlager in Sabratha, wo er  einen Monat lang blieb. Sein Boot mit 130 anderen   Leuten lief aus, wurde aber abgefangen und wieder zurück an Land gebracht.

Die Reisenden mussten sich nackt ausziehen, damit alles Geld, das sie bei  sich trugen, gefunden werden konnte. Danach brachten drei Taxis die abgefangenen Passagiere ins Gefängnis. Die Gruppe tat sich zusammen um ihre Freilassung zu erreichen. Die Migranten beriefen sich auf den Namen des Kapitäns, der für die Organisation der Seerouten für die Schlepper unentbehrlich war. Die Wachen riefen den Kapitän und als jemand anderes aus der Gruppe hervortrat, der sich für den Kapitän ausgab, sagte Samba nichts. Er wollte einfach nur gehen. 

Mehr als 200 Leute erwarteten an der Küste ihre Abreise. Zusammen mit drei anderen wurde Samba aufgerufen eines von vier Schlauchbooten aufzupumpen. Seines war das letzte Boot, das am letzten Tag des Ramadans 2016 in See stach.

Samba überquerte das Mittelmeer um vier oder fünf Uhr morgens in einem Schlauchboot mit 120 anderen Leuten, einschließlich Frauen und Kinder. Er war fünf Stunden lang auf offener See, bevor er von einem italienischen Schiff in internationalen Wassern gerettet wurde.

Samba verbrachte zwei Tage auf dem Schiff, bis er in Crotone, Italien an Land ging. Er weiß das genaue Datum nicht, aber er glaubt, dass es der 28. Juni 2016 war. Wir trafen Samba am 16. April 2021 in Rom, wo er heute lebt und wo wir seine Geschichte aufgenommen haben.

Samba ist ein erstaunlicher Mensch.


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Name der Stadt is nicht verifiziert