Lerne David kennen

David (Bakary-David) auf der Insel Lampedusa nach seiner Rettung aus dem Mittelmeer. Lampedusa, Italien. ©Pamela Kerpius

David (Bakary-David) auf der Insel Lampedusa nach seiner Rettung aus dem Mittelmeer. Lampedusa, Italien. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 

Lerne David kennen.

19 Jahre alt und aus Serekunda, Gambia.

Um nach Lampedusa zu kommen, durchquerte er sechs Länder: Gambia, den Senegal, Mali, Burkina Faso, den Niger und das gefährlichste von allen, Libyen.

Seine Flucht dauerte zwei Jahre.

Er brauchte zwei Wochen und fünf Tage um nach Agadez, Niger, zu kommen, wo er eine Woche lang blieb.

Ab Agadez, so sagt er, ändert sich die Flucht, denn die Menschen, die dich von dort aus weiterbringen, sind libysche Schlepper.

Er durchquerte die Sahara im Führerhaus eines Kleintransporters mit 38 Menschen im Inneren des Fahrzeugs. „Es war wie auf einem anderen Planeten,” sagt er. Er hatte 10 Liter Wasser für sich dabei, und absolvierte die Fahrt in zweieinhalb Tagen ohne anzuhalten. Alle im Transporter überlebten.

Sein erster Halt in Libyen war Gadron*, wo er für zwei Monate im zweiten Stock des Gebäudes lebte, in dem er als Haushälter und Tellerwäscher arbeitete. 

David kam als nächstes nach Sabha, Libyen. Dort blieb er für einen Monat innerhalb der Stadtgrenzen.

„Um ehrlich zu sein hatte ich es gut in Sabha.” Er hatte einen arabischen Freund, der ihn beschützte und ihm alles Nötige zur Verfügung stellte: von gutem Essen wie Hühnchen und Eintopf, bis hin zu Kleidung. Sein Freund zahlte sogar für seine Fahrt nach Tripolis.

Dann entwickelte sich alles sehr schnell. Als David in Tripolis ankam, wusste er, dass Italien seine nächste Station sein würde.

Ein anderer Schwarzer Mann, aber kein Gambier, so sagte er, half ihm, bei einem Araber Arbeit in der Stadt zu finden. Der Job als Zementmischer war schwierig, denn David war weder dafür ausgebildet, noch war er gesund genug, um die Arbeit auszuführen. Das schwere Heben übte Druck auf sein schwaches Herz aus, und er bekam Schmerzen in der Brust. Er hielt einen halben Tag durch und bekam dafür 20 Dinar. Dann verließ er den Job.

Er kehrte zurück zu seinem Ausgangspunkt, in das Lager, in dem er mit über 200 Migranten lebte. Dort gab es etwa zehn Zimmer, aber diese waren nicht groß genug um alle unterzubringen, also schliefen einige Leute im Freien. Essen und Wasser zu bekommen war schwierig. David lebte dort für zwei Monate.

Währenddessen fand er eine andere Arbeit, nämlich als Gärtner und Haushälter, womit er 10 Dinar pro Tag verdiente. Das sind circa 7,45 US-Dollar, etwas über sechs Euro. Sein Arbeitgeber zahlte auch für sein Boot in Garabulli.

In diesen fünf Monaten war ich wie von Sinnen.
Manchmal war ich bewusstlos.
 


Er kam an der Küste an. Er half, das Boot ins Meer zu schieben. Nach zwei Stunden auf dem Wasser war die Überfahrt bereits vorbei: er wurde von der libyschen Polizei verhaftet und ins Gefängnis nach Tripolis gebracht. Ab diesem Punkt entwickelte sich Davids Geschichte zu einem Albtraum.

Er sagt, die Internationale Organisation für Migration (IOM) stand in Dialog mit den libyschen Behörden, die ihn aufgesammelt hatten. Die Behörden hatten der IOM erklärt, dass alle verhafteten Migranten abgeschoben und nicht inhaftiert werden.

Letztlich fand David heraus, dass das nur ein Lippenbekenntnis war, um die IOM zu beschwichtigen, denn er verbrachte fünf Monate in einem Gefängnis namens Suq al Ahad**.

„In diesen fünf Monaten war ich wie von Sinnen. Manchmal war ich bewusstlos,” erzählte mir David.

Er wurde mit einer Waffe geschlagen und erhielt harte Stöße auf den Kopf. So ging das fast eine Woche.

Er wurde dazu aufgefordert, seine Familie nach Geld zu fragen. Es gibt eine Kontaktperson in Tripolis, an die sich die Migranten wenden. Dann ruft der Kontakt in Tripolis das ausgewählte Familienmitglied aus dem Herkunftsland des Flüchtlings an. David erzählte seinen Geiselnehmern, dass niemand in seiner Familie Geld hätte, und deshalb rief er sie nie an. Er bekam Schläge auf den Kopf, und, mit einer Art Rohr, auf seine Knie. 

Eines Tages wagten die mehr als 200 Gefangenen den Ausbruch. David war einer der ersten, die das Gefängnis verließen. Im Gedränge fielen viele zu Boden, auch David. Er stand wieder auf und taumelte weiter, ziellos. Er sah einen Orangenhain in der Ferne. Er rannte darauf zu und versteckte sich. Er aß eine der Orangen, um sich etwas zu stärken. Es war das erste bisschen Vitamin C in Monaten. Er rannte weiter, immer noch ohne Ziel. Weil er aus dem Gefängnis kam, hatte er keine Schuhe. Das erregte die Aufmerksamkeit eines Mannes in der Nähe.

David sagt, der Mann war ein Jäger. Er rief David zu, dass er helfen wolle. David zögerte, aber ging dennoch auf ihn zu. Er nannte dem Mann den Namen des Gefängnisses, aus dem er kam, und der Mann wusste, dass es dort schlimm war.

David beschrieb die Zustände im Gefängnis. Da waren mehr als 50 Frauen, die von den Männern getrennt waren, und er sagte deutlich, dass es den Frauen ,schlechter’ ging. Dennoch wusste er von keinerlei sexuellem Missbrauch. Es gab Kranke und Sterbende, aber keinen Krankenpfleger, keinen Arzt.

 
...Migranten wurden verkauft… für
etwa 500 Dinar
 


Der Mann half David, einen Arzt zu finden, denn seine Knie taten schrecklich weh, und er hatte außerdem ernste Schnitte und Prellungen über seinen Körper verteilt. Er entwickelte Kopfschmerzen von den Schlägen, die er bekommen hatte. Er sagte, dass er sein Zeitgefühl verliert und nicht weiß, welcher Wochentag ist. Deshalb weiß er nicht sicher, wie lange er in Tripolis war, bevor er sich erneut an die Küste begab.

Er erholte sich ausreichend, um als Gärtner und Haushälter zu arbeiten. Er wusste von ,vielen’ Menschen, die auf einen Markt gebracht wurden, auf dem Flüchtlinge von ihren ,Arbeitgebern’ für 500, manchmal 1000 Dinar pro Person verkauft wurden. Er selbst war auch dabei.

Er erreichte das Küstenlager von Sabratha, wo er zwei Monate lang blieb. Er hatte Schmerzen in der Brust. Es gab weder ein Bett noch einen Fußboden, also schlief er auf der blanken Erde im Gebüsch. Es gab nur Leitungswasser, das unbehandelt und nicht zum Trinken geeignet war. Er aß Brei aus Mehl und Wasser, gelegentlich bekam er Nudeln wie Spaghetti oder Maccaroni, mitunter ein bisschen Reis. Manchmal jedoch – egal was er gegessen hatte – musste er sich übergeben. Vermutlich hing das mit dem Wasser zusammen, das ihn krank machte.

David durchquerte das Mittelmeer in einem Schlauchboot um vier Uhr morgens mit 141 weiteren Menschen, darunter mehr als 15 Frauen, ein Kind und ein Säugling. David erreichte Lampedusa am Samstag, den 15. April 2017.

„Gott sei Dank bin ich in Sicherheit”, sagte er.

David ist ein erstaunlicher Mensch.

Übersetzung von: FW

Read David's one-year followup story, recorded May-June 2018 (English) >

*Stadtnamen und Schreibweisen nicht bestätigt.

** Das Gefängnis Suq al Ahad befindet sich in der Nähe von Tarhunah, einer Stadt 65 Kilometer südöstlich von Tripolis.