Lerne Blessing kennen

Blessing in ihrer Wohnung in der Nähe von Cosenza, Italien. Mai 2018. ©Pamela Kerpius

Blessing in Longobardi, Italien. 30 Mai 2018. ©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 

Von
Pamela Kerpius

Aufgenommen am:
30 Mai 2018

Veröffentlicht am:
2018


Übersetzung von:
Hafife Montgomery



Lerne Blessing kennen.

24 Jahre alt und aus Benin-Stadt, Nigeria. 

Um nach Italien zu kommen, durchquerte sie drei Länder: Nigeria, Niger, und das gefährlichste von allen, Libyen. 

Sie verließ Nigeria am 3. August 2015. Ihre Reise dauerte zehn Monate. 

Sie reiste von Benin-Stadt nach Agadez, Niger bevor sie die Wüste in Richtung Libyen durchquerte.

Blessing durchquerte die Sahara auf der Ladefläche eines Kleintransporters zusammen mit mehr als 80 Menschen. Als sie uns über ihre Erlebnisse erzählte, waren ihre Freunde erstaunt über diese Anzahl von Menschen, die Blessing angab. Gewöhnlich sind es zwischen 20 und 40 Menschen per Kleintransporter. Es war möglicherweise eine Karawane von mehreren Lastwagen, aber wir konnten es nicht bestätigen. 

So, wie es oft während Wüstendurchquerungen vorkommt, fielen Menschen vom Lieferwagen. Manchmal hielt der Lieferwagen an und ihnen wurde geholfen, andere Male nicht. Sie selbst fiel vom Lieferwagen und hatte Glück, der Lieferwagen hielt für sie an. Es gab kein Wasser, außer das was sie von schmutzigen gelegentlichen Brunnen auf der Route schöpfen konnten. Sie sagt, dass 15 von den Mitreisenden während dieser Fahrt starben.

Der Lieferwagen überquerte die libysche Grenze und sie blieb zwei Wochen in Sabha, Libyen, in einem Lager ohne Fenster, Sonnenlicht, Schlafgelegenheit oder Toilette. Es ist unklar, wo die, die in dem Lager eingeschlossen waren, ihre Bedürfnisse erledigten. „Irgendwo, egal wo”, sagte sie und deutete auf den Boden. Es gab einen getrennten Raum, wo sich die Frauen ihren Schambereich wuschen, sagte sie. 

Sie wurde nach Tripolis gebracht und blieb dort mehrere Monate. Genaue Daten dafür sind unbekannt. Sie weiß nicht, wann sie ankam und wann genau sie wieder wegging, aber sie schätzt, dass ihr Aufenthalt in Tripolis ca. sieben Monate dauerte. 

„Ich war krank”, sagte sie immer wieder, während sie gleichzeitig die Schwerwiegenheit ihrer Erfahrungen herunterspielte, „Ich weiss nicht wie lange”. Ihre Beine waren wie gelähmt, weil sie sich nur zusammenkauernd zum Schlafen hinlegen konnte. Monatelang hatte sie ihre Beine nicht ausgestreckt und jegliche Bewegung, die sie während ihres Aufenthaltes machte, bestand nur darin, zur Toilette zu humpeln.

Wenn sie auf deine Schulter klopfen,
heißt das, du bist dran zu gehen.


Sie wurde regelmäßig mit einem Plastikschlauch geschlagen, um dadurch Geld von ihrer Familie zu erpressen. Sie wurde oft, fast routinemäßig, von ihren Menschenschleppern vergewaltigt.

Sie wurde zum Küstenlager Sabratha gebracht, wo sie zwei Monate auf ihre Bootsfahrt wartete. Dort, in ihrem Unterschlupf, hatte sie ein Dach über ihrem Kopf, aber keine Wände, und sie schlief auf dem Boden ohne Matratze. Die Flut überschwemmte regelmäßig den Boden bis hin zu dem Bereich, den sie zum Schlafen nutzte. 

Eine Bande von kleinen Jungen – libysche Kinder mit Waffen – überfiel eines Tages das Lager und schoss willkürlich herum. Sie wurde von einer Kugel am Bein getroffen; sie zeigte uns ihre Wunde am unteren Schienbein. 

Während einer anderen Nacht kamen Menschenschlepper durch das Lager. „Wenn sie an deine Schulter klopfen, heißt das, du bist dran zu gehen”. 

Blessing überquerte das Mittelmeer in einem Schlauchboot zusammen mit 120 bis 130 Menschen; das Boot war fünf Tage lang auf See, bevor sie gerettet wurden. Es gab kein Trinkwasser, also tranken die Menschen Meerwasser. Alle Passagiere überlebten die Überquerung. Blessing wurde der Guardia Costiera übergeben und kam am 13. Juni 2016 in Crotone, Kalabrien, einem Hafen im Südosten Italiens, an. 

Blessing ist ein erstaunlicher Mensch.